Für die Komiker Oliver Pocher und Chris Rock hagelte es am 27. und 28. März Backpfeifen von „Fat Comedy” und dem Schauspieler Will Smith. Die mediale Welt ist in Aufruhr: Während Memes erschaffen werden, Will Smith sich bereits öffentlich entschuldigt hat und Pocher von „irreparablen Schäden” spricht, streitet Twitter und Co. über die Frage, nach der Rechtfertigung der körperlichen Angriffe. Verdient? Was wird der Anwalt an Schadensersatz fordern? Und wir von der :bsz stehen überlegend daneben und fragen uns: Passiert nicht Wichtigeres auf der Welt, über das wir diskutieren könnten, auf das mit dem Finger gezeigt werden müsse? Und: was lässt eine Ohrfeige solche Wellen schlagen, dass sie unser aller Aufmerksamkeit beansprucht? Werfen wir doch mal einen Blick zurück in die Vergangenheit und befassen uns damit, wann schonmal eine Ohrfeige die ganze Welt bewegte, und was damals dahintersteckte.  

:becc

Der Schlag ins Gesicht, der es nicht auf Seite 1 schafft 

Will Smith hat Chris Rock geschlagen, wegen Kommentaren über das Aussehen seiner Frau Jada Pinkett Smith. Und alle reden darüber. So sehr, dass es fast die Nachricht, dass der Tiktoker Fat Comedy dem Comedian Oliver Pocher eine schmierte, aus den Nachrichten verdrängte. Die privilegierte Oberschicht streitet sich, ein Eklat, ein Eklat! Doch was interessieren mich die persönlichen Probleme irgendwelcher Promis? 

Tatsächlich nichts. Und zwar nicht nur, weil mich die Privatleben dieser Leute nichts angehen, sondern auch, weil es tatsächliche, wirkliche Probleme gibt. Besonders in den USA wirkt es fast wie ein gefundenes Fressen, denn andere Nachrichten finden so weniger Beachtung. In Florida wurde ein Gesetz verabschiedet, welches Lehrern unter Androhung von Klagen verbieten, mit Erst- und Zweitklässlerinnen über Sexualität und Geschlechtsidentität zu sprechen oder Aussagen zu treffen, die nicht „altersgerecht“ sind. Was das genau bedeutet, bleibt natürlich relativ offen, man will sich schließlich möglichst viele Möglichkeiten schaffen, Lehrpersonal zu terrorisieren. Im aktuellen Wortlaut wäre es sogar möglich, dass Lehrer:innen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen dies gegenüber den Kindern geheim halten müssen, um keine rechtlichen Folgen zu fürchten. Die Existenz von Homosexualität, Transidentität und praktisch allem was von der heteronormativen Norm abweicht, wird somit praktisch aus den Schulen gelöscht. Geframed wird das als Schutz der Kinder, führt in der Realität jedoch nur zu einer weiteren Marginalisierung. Es gibt keine klare Altersgrenze ab der solche Themen „in Ordnung“ sind. Allein die Annahme, dass es sich hierbei um eine „Sexualisierung“ handelt, ist zutiefst diskriminierend. Sexualität ist nicht nur Sex, und wenn ein Kind alt genug ist, um Hochzeiten, sich liebende Menschen und andere – völlig normale – Aspekte des Lebens zu sehen, ist es genauso bereit über Themen von Geschlecht und Liebe zu lernen, die nicht Hetero und Cis sind.        

:Jan-Krischan Spohr

 

Mehr als nur eine Ohrfeige

Oliver Pocher wird seine „Respektschelle“ vor laufender Kamera nicht so schnell vergessen und das gilt sicherlich auch für Chris Rock. Was wir aber nicht vergessen sollten – auch in der Vergangenheit musste der ein oder andere schon einmal einstecken, sogar der Bundeskanzler. Die berühmte Ohrfeige, die Beate Klarsfeld auch bekannt als Nazijägerin, Kurt Georg Kiesinger am 7. November 1968 verpasste, kurz bevor sie ihn als Nazi bezeichnete, ist wohl die bekannteste Ohrfeige der deutschen Geschichte. Doch Klarsfeld ging es nicht nur darum, den Kanzler zu demütigen. Die damals 29-jährige Aktivistin und Journalistin machte mit ihrer Ohrfeige auf die Vergangenheit Kiesingers aufmerksam. Kiesinger war nicht nur NSDAP-Parteimitglied in der NS-Zeit, sondern auch zuständig für die Rundfunkabteilung des Reichsaußenministeriums als stellvertretender Abteilungsleiter. Er trat auch in die Sturmabteilung ein und begründete später, dass sein Motiv eine Veränderung der NSDAP von innen gewesen wäre. Für Beate Klarsfeld war klar, dass ein „Nazipropagandist“ nicht Kanzler bleiben durfte und forderte seinen Rücktritt, ohne Erfolg. Mit der Entnazifizierung wurde Kiesinger als Mitläufer eingestuft und war noch bis 1969 Kanzler. Die Ohrfeige von Beate Klarsfeld führte zwar nicht zu Kiesingers Rücktritt, klar ist aber, ihre Ohrfeige symbolisiert ein ganz klares Statement: Nazis haben in der Regierung nichts zu suchen und dürfen nicht geduldet werden! 

Doch sicherlich ist es nicht die erste und auch nicht die letzte historische Ohrfeige in der Weltgeschichte gewesen. Erst im Dezember 2017 ging ein Video der damals 16-jährigen Palästinenserin Ahed Tamimi viral. Sie ohrfeigte einen israelischen Soldaten, nachdem dieser ihren 15-jährigen Cousin mit einem Gummigeschoss anschoss und wurde vor das Militärgericht in Israel gestellt. Plötzlich wird sie als Nationalheldin gefeiert.  

Die Ohrfeige der 16-Jährigen war nämlich mehr als nur ein Wutausbruch oder eine Provokation. Ahed Tamimis Ohrfeige ist ein Symbol gegen die Besatzung und für den Widerstand von Palästinenser:innen. Manchmal ist eine Ohrfeige eben nicht nur eine Ohrfeige, sondern eine „Respektschelle“. Oftmals ist es ein Zeichen dafür, dass moralische, ethische oder auch persönliche Grenzen überschritten wurden. Was zunächst wie ein Angriff wirkt, ist oftmals eine missbilligende Zurechtweisung oder ein Widerstand und weniger pure Gewalt.                      

:Miena Momandi

 

 

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