Bild: Wirtschaft ohne Soziales? Bild: Kalle Hunter

Bildung. Nachdem der Wechsel an einigen weiterführenden Schulen bereits stattfand, soll nun auch das Lehramtsfach für das Fach Wirtschaft/Politik weichen. Verlieren SoWi-Lehrer:innen nun ihre Fakultas? Und wie sieht es mit aktuell studierenden SoWi-Lehrämtler:innen aus? 

Auf die Landesregierung NRW prasselt derzeit Kritik von einer Großzahl an Bildungsverbänden, Parteien und Gewerkschaften ein. Mit einem Entwurf zur Änderung der Lehramtszugangsverordnung will die schwarz-gelbe Landesregierung den letzten Schritt zur Etablierung des Schulfachs Wirtschaft/Politik an den Schulen NRWs leisten, indem an den Hochschulen NRW das korrespondierende Lehramtsfach Wirtschaft/Politik eingeführt – und damit Sozialwissenschaft an den Unis gestrichen werden soll. Bereits seit Anfang des laufenden Schuljahres wird an den nordrhein-westfälischen Schulen Wirtschaft/Politik gelehrt. Es ersetzt das vorherige Schulfach Sozialwissenschaft, welches eine Kombination aus Politik, Ökonomie und Soziologie darstellt. Der neue Lehrplan setzt dabei einen stärkeren Fokus auf Themen wie Gründung, Kenntnisse der Wirtschaftsordnung und Verbraucher:innenbildung.  

Mit der Streichung des Lehramtsfachs Sozialwissenschaft zugunsten des Fachs Wirtschaft/Politik sollen Schul- und Studienfach nun in Einklang gebracht werden. Insgesamt sollen die wirtschaftlichen Kompetenzen der Lehrer:innen verbessert werden. Diese seien in vielen Fällen nicht ausreichend, so war die Begründung für die Umgestaltung des Fachs.  

Verbände kritisieren jedoch, dass durch die Neuauslegung die Vermittlung von wichtigen interdisziplinären Zusammenhängen zugunsten einer Verwirtschaftlichung der Bildung verloren geht. So erklärten die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW NRW) und der Landesvorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB NW) in einer gemeinsamen Mitteilung: „Die Fähigkeit, sich interdisziplinär mit gesellschaftlichen Herausforderungen und Problemen auseinanderzusetzen, sie deuten und Maßnahmen ergreifen zu können, ist die zentrale Leitidee der sozialwissenschaftlichen Bildung. Kinder müssen lernen, sich in komplexen gesellschaftlichen Situationen zu orientieren und entsprechend handeln zu können.“ Deshalb solle die Landesregierung das Studienfach Sozialwissenschaft erhalten. Auch Studierendenvertretungen wie das Landes-ASten-Treffen NRW (LAT NRW), die Landes-Lehramts-Fachschaftenkonferenz NRW (LaLeFa NRW) und der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) setzen sich gegen die Pläne ein. SPD, Grüne und Linke sprachen sich ebenfalls gegen die Pläne aus. Auch eine Petition auf change.org, die von einer SoWi-Studentin erstellt wurde, hat Stand Montag, 1. Februar bereits mehr als 35.000 Unterschriften gesammelt. 

Neben der Kritik am Fach selbst, stellt auch die Frage nach der Zukunft von derzeitigen Lehrer:innen und Studierenden der Sozialwissenschaften ein Problem dar. Denn bevor Lehramtsstudierende des neuen Fachs Wirtschaft/Politik in die Schulen eintreten, wird noch eine Menge Zeit verstreichen. Erst 2028 werden die neu ausgebildeten Lehrer:innen ihr Referendariat beenden. In der Zwischenzeit haben laut Schulministerium alle bereits ausgebildeten SoWi-Lehrer:innen mit „entsprechenden Lehrbefähigung“ die Voraussetzungen, das neue Schulfach zu unterrichten. Auch SoWi-Studierende, die derzeit im Studium sind, sollen weiterhin ihre gültige Lehramtsbefähigung erhalten – ob diese jedoch auch für das Fach Wirtschaft/Politik oder nur das tote Fach Sozialwissenschaft gelten, ist nicht klar. Denn noch im Sommer hieß es von NRW-Staatssekretär Mathias Richter (FDP), dass SoWi-Lehrer:innen künftig keine automatische Lehrbefähigung für das Fach Wirtschaft/Politik hätten. „Sie dürfen und können aber natürlich vertretungsweise unterrichten,“ erklärte Richter in einem WirtschaftsWoche-Interview.            

                    :Stefan Moll

Alles für die Wirtschaft  

Kommentar. Das Studienfach Sozialwissenschaften hat schlechte Zukunftsaussichten in NRW, so will es die schwarz-gelbe Landesregierung. Das sorgt für Unmut, und zurecht. 

Nicht nur kurzfristig und pandemiebedingt zeigt sich der fehlende Respekt der Landesregierung NRW vor Schüler:innen, Lehrer:innen und Schulen derzeit sehr offenkundig – das lange Festhalten an Präsenzunterricht trotz rapide steigender Infektionszahlen, ausbleibende Unterstützung beim Schutz von Schüler:innen und Lehrer:innen und die Ausgabe neuer Informationen, die gern über ein Wochenende oder auch eine Nacht vom bereits überstrapazierten Lehrpersonal umgesetzt werden sollen gehören wohl zu den Kernkompetenzen der NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP). Fairerweise arbeitet sie auch nur mit dem, was ihr von den Entscheidungsträger:innen gegeben wird, und der bisherige Umgang der Regierung mit Schulen während der Pandemie lässt Schlimmstes befürchten, wenn digitaler Unterricht wirklich umgesetzt werden sollte. Eine nun geplante, langfristige Änderung jedoch hat ein anderes Kaliber: Eines der Prestigeprojekte der schwarz-gelben Landesregierung NRW ist das Schulfach Wirtschaft, welches seit Beginn des Schuljahres ein Pflichtfach an weiterführenden Schulen im Land ist. Während ökonomische Bildung zwar wichtig ist und den Umgang mit Geld zu lehren ein grundlegend gutes Ziel ist, war von vornherein klar, dass dies nicht passieren wird, ohne, dass woanders Abstriche gemacht werden.  

Wo genau ist jetzt klar – das Fach Sozialwissenschaften soll im Lehramt abgeschafft werden und durch „Wirtschaft-Politik“ ersetzt werden. Statt zu versuchen, einen möglichst breit aufgestellten Blick auf die Gesellschaft zu bieten, den Schüler:innen ein Verständnis für soziale Strukturen und Phänomene zu geben und politische Bildung als wichtigen Teil der Schulbildung zu erhalten, soll die neoliberale Ideologie einen noch zentraleren Platz in den Schulen einnehmen. Statt zu lernen, welche Auswirkungen auf Menschen das Handeln von Unternehmen wie Nestlé oder BP, das Spekulieren mit Lebensmitteln und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen haben können, kann man natürlich auch einfach lernen, wie man sich Aktien dieser Unternehmen kaufen kann, damit Profit macht und schon mal fürs Alter vorsorgt — wer weiß wie lang es noch bis zur komplett privatisierten Altersvorsorge dauert? Dass dieses System nur funktioniert, wenn es Verlierer:innen gibt, wie auch ein Niedriglohnsektor und Sweatshops in wirtschaftlich schwächeren Ländern zu den Grundpfeilern eines funktionierenden Kapitalismus gehören, kann man dabei getrost bei Seite lassen. Wirtschaftsverbände, CDU und FDP sind natürlich vollends überzeugt von diesen Ideen, denn wie verankert man am besten ein soziales und ökonomisches System als die einzig wahre, alternativlose und gottgegebene, dem menschlichen Naturzustand entsprechende Gesellschaftsordnung in den Köpfen junger Menschen, als durch durch möglichst frühe? „Wirtschaftsbürgerinnen und -bürger“, wie es in Lehrplänen anderer Bundesländer steht, in denen Wirtschaft bereits länger an Schulen unterrichtet wird, sollen aus ihnen werden. Zumindest hat das Schulministerium nun mitgeteilt, dass Lehrer:innen die Sozialwissenschaften studiert haben, keine weitere Qualifizierung benötigen, um das Fach Wirtschaft zu unterrichten. Was die in diesem Kontext genannte „entsprechende Lehrbefähigung“ jedoch genau bedeutet, ist nicht klar. Die Kommunikation des Ministeriums, und dadurch entstandene Missverständnisse und Unklarheiten, kritisierte beispielsweise die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die Erklärung des Ministeriums ist somit höchstens ein schmaler Lichtblick am schwarz-gelben Horizont des Neoliberalismus.         

        :Jan-Krischan Spohr

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