Workshop. Wie sieht die jüdische Erinnerungskultur aus? Dazu machte sich ein studentisches Team Gedanken und stellte das resultierende Projekt bei inStudies vor. Nun fand am Freitag die erste Auftaktveranstaltung statt.

Die Workshop-Reihe „Erinnern und Vergessen – Jüdische Erinnerungskultur in Osteuropa“ ging am Freitag, den 27. April mit der ersten Veranstaltung aus literaturwissenschaftlicher Perspektive an die Thematik heran. Mit Prof. Peter Goßens, Komparatist und Dozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der RUB wurde die Fragen erörtert, was „angemessenes“ Erinnern –genauer gesagt, was „angemessenes“ Bezeugen sei. Dazu wurden Werke, die sich mit der Shoah beschäftigen in drei Zeitabschnitte – erste bis dritte Generation – unterteilt.
Zur ersten Generation gehören Diejenigen, die die Shoah selbst durchlebt haben – geboren vor Mai 1945. Die zweite Generation sind die Kinder und die Enkelkinder somit die dritte Generation. Die Unterscheidung ist nötig, da die jeweilige Generation sich unterschiedlich mit der Shoah auseinandersetzt und dadurch eine eigene Art der Erinnerung, Bezeugung und sogar Bewältigung inne hat. 

Epos, Holocaust-Pulp-Fiction

Charakteristisch für die erste Generation sei ihr fiktional verpacktes Bezeugnis. So zum Beispiel der Dramatiker und Lyriker Jizchak Katzenelson, der den 225 Strophen langen Epos „Dos lid funm ojsgehargetn jidischen folk“ (Das Lied vom ausgemordeten jüdischen Volk) schrieb und noch vor seiner Ermordung in Auschwitz-Birkenau verstecken konnte, so, dass es heute vollständig zur Verfügung steht. Anders verarbeitete der in den 60er Jahren in Israel bereits bekannte Schriftsteller Yehiel De-Nur seine Erlebnisse in Auschwitz. Unter dem Pseudonym Ka-Tzetnik eröffnete er mit seinem Roman „House of Dolls“ das Genre Holocaust-Pulp-Fiction. Sein Werk überschreitet die Grenze von Fiktion und Realität und hat Elemente von Folterszenen, sexueller Perversion und Kannibalismus. Trotz der abstrakten Schilderung wurde De-Nur als Zeuge bei den Eichmann-Prozessen geladen. Die zweite Generation benutzt teilweise fiktionale Handlungen, allerdings mit wahren Kernelementen. Zum Beispiel erzählt der französisch-jüdische Autor Patrick Modiano in seinem Roman „Dora Bruder“ über die Vermisstensuche des gleichnamigen Mädchens, das 1941 verschwand. Dieser Roman ist nicht komplett fiktional, da Modiano seine eigene Suche dokumentiert hat und seine Eindrücke einfließen lässt. Dennoch ist die Vermischung von realen Ereignissen und eigenen Erlebnissen charakteristische Ausdrucksform der zweiten Generation. Pragmatischer ist die Herangehensweise der dritten Generation: Dokumentation und Recherche stehen im Vordergrund. In diesem genealogischen Abschnitt kommen auch Werke von der „Täter“-Seite, jedoch genauso aufdeckend und dokumentarisch wie bei der „Opfer“-Seite, hervor. 

Was steckt dahinter?

Hinter der Workshop-Reihe stehen sechs Studierende der RUB aus den Bereichen Kunstgeschichte, Geschichte, Komparatistik und Gender Studies. Inspiration und Denkanstoß lieferte unter anderem Fotograf Christian Herrmann, der durch Osteuropa reiste und den Verfall von jüdischen Bauten und Orten festhielt. Zusammen richteten sie letztes Jahr eine Foto-Ausstellung aus, die ab Dienstag, den 1. Mai wieder im GA zu sehen ist. Doch auch Studienreisen mit dem Themenschwerpunkt „Erinnerung“ nach Osteuropa beeindruckte Teile der Gruppe. Die Workshop-Reihe findet mit einer Exkursion nach Essen am 5. Mai wieder statt – um Voranmeldung wird gebeten. Die Teilnahme kann auf Wunsch mit einer Urkunde oder bei mindestens drei Veranstaltungsbesuchen durch ein Zertifikat bestätigt werden. Weiter Informationen unter: ruhr-uni-bochum.de/instudies/initiativprojekte       

        :Sarah Tsah

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