Bild: Zeigt, wo’s lang geht: Gysi versteht sich als Stimme der Vernunft. , Gysi zur Aktualität von Marx Bild: Jan Turek

Politische Bildung. Am 4. Februar fand an der Universität Witten/Herdecke ein Vortrag des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Linken, Gregor Gysi, statt. Dieser erläuterte ausführlich, warum er Karl Marx auch heute noch für aktuell hält.

Im Jahr 2018 würde der Begründer des Kommunismus seinen 200. Geburtstag feiern. Aus diesem Anlass hatte die Fakultät Kulturreflexion zur Veranstaltung unter dem Titel „Warum heute noch Marx lesen?“ geladen. Der Einladung folgten viele; es war so voll, dass noch zusätzliche Stühle herangeschafft wurden. Gysi sieht dies als Zeichen einer kleinen „Marx-Renaissance“. Er ist überzeugt, dass er, wenn er im Jahr 1990 an einem Sonntagvormittag gekommen wäre, um über Marx zu sprechen, „mit der Person, die mich eingeladen hätte, allein gewesen“ wäre. Gysi lockerte seine teils anspruchsvolle Vorlesung, in der lange Marx-Zitate vorkamen, immer wieder mit Anekdoten auf, die die Menge mehrfach zum Lachen brachten.

Die Argumente

Auf die Frage nach dem Sinn darin, heutzutage noch Marx zu lesen, antwortete Gysi mit mehreren Gründen. Einer bestünde „im Erwerb von Bildung“. Bildung, so hob er hervor, sei nicht gleichbedeutend mit dem Begriff „Ausbildung“. Das 19. Jahrhundert nehme „eine Schlüsselrolle“ ein, weil in diesem politische Ideologien wie der Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus und der Kapitalismus zu ihrem Abschluss gekommen seien. Das Wissen über die damalige Zeit sei daher wichtig, um die heutige zu verstehen. Insbesondere vom Marx’schen Denken seien bedeutende Impulse ausgegangen: „Ohne Marx wären weder die deutsche Sozialdemokratie, noch russische Bolschewiki denkbar. Das heißt nicht, dass Marx für all das verantwortlich zu machen ist, was SPD, KPD, SED und KPdSU alles angerichtet haben.“
Ein anderer Grund sei, dass man durch die Lektüre von Marx lernen kann zu analysieren „und das bei recht komplexen Sachverhalten“. Marx habe Analysen zu Problemen geliefert, die noch immer existieren: Man erlerne „eine Art Handwerkszeug“. Damit meint Gysi vor allem die Dialektik und das Basis-Überbau-Theorem, das ihm zufolge bei der Sozialisation eine große Rolle spiele.
Nachdem Gysi detailliert auf ökonomische Aspekte von Marx’ Gesellschaftsentwurf einging, die er im Hinblick auf die heutige globalisierte Gesellschaft interpretierte, kam er noch auf das Privatleben des Theoretikers zu sprechen: Die langjährige Freundschaft, die ihn und Friedrich Engels verband, sei „eine Rarität“

Gysi als Publikumsmagnet

Zum Ende hin kritisierte Gysi noch, dass ihm Deutschland zu „ideologieträchtig“ sei. Alles, was sozialistisch sei, werde „von den meisten abgelehnt“. Noch nie sei ein Kanzler am Grab von Karl Marx gewesen und es sei keine Uni in Deutschland nach Marx benannt. Für Gysi ist das „nicht nachvollziehbar“. Abschließend wiederholte er noch seinen Appell an die Studis, sie sollen rebellischer werden (:bsz 1152). Auch bei Marx könne man „Rebellentum“ lernen.

Der mittlerweile 70-jährige und über Parteigrenzen hinaus respektierte Gregor Gysi war auch für viele im Publikum der ausschlaggebende Grund, zu kommen; so auch für Lisa, die in einer Bibliothek in Witten arbeitet und mit den Linken sympathisiert. Der Vortrag hat ihr gut gefallen, da Gysi „wichtige Themen angesprochen und sehr lebhaft erzählt“ habe. Kolja, der an der Uni Witten/Herdecke studiert, sieht es ähnlich: Er wählt zwar nicht die Linke, findet an ihr aber „vieles sympathisch“. Für ihn sei Gysi eine Person, die man sich „nicht entgehen lassen“ kann.

Gastautor :Jan Turek

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