Bild: Der„sachliche“ Diskurs der Gegenwart – Ein Traum in Braun. , Kommentar: Wie eine Begrifflichkeit den Umgang miteinander verändert Comic: Kira Selicke

Der Aufstieg beginnt 1996 in Palahniuk’s Fight Club. Zunächst wurde eine Person, die sich für einzigartig hält, als Snowflake bezeichnet, und damit zugleich impliziert, dass dies nicht der Fall sei. Eine Bedeutungswandlung erfuhr der Ausdruck im Generationskonflikt zwischen Baby-Boomern (geb. um 1950) und Millenials (geb. nach 1990). Es wurde behauptet, letztere seien überempfindlich und schnell beleidigt. Indikator für die „Generation Snowflake“ sei die Einführung von „Safe Spaces“ (Beispiel: Frauenraum der RUB) und „Triggerwarnungen“ (Beispiel: Warnung – Dieser Kommentar beinhaltet Kritik an rechtem Gedankengut).

Breitbart und die Alt-Right

Ab Mitte 2015 taucht der Begriff vermehrt als politische Beleidigung auf, besonders auf der – als Sprachrohr für die Alt-Right bekannten – Plattform „Breitbart“ unter Trumps Chefberater Steve Bannon. Die Alt-Right kennt man wiederum für ihre „autoritäre Verachtung der Demokratie, eine Besessenheit von Verfall und Wiedergeburt der Nation, Frauenfeindlichkeit, Sozialdarwinismus und die Verherrlichung von Gewalt“, wie Volker Weiß auf zeit.de schreibt.

Die Alt-Right verbreitet ihre Meinung meist online auf Plattformen wie „4-chan“ und „reddit“.  Ein deutschsprachiger Ableger ist die Plattform „pr0gramm“, die mit ihren Bewertungen in Benis-Längen, dem Begriff der „Neuschwuchtel“ als User-Rang, antifeministischen Trollkampagnen und gewaltverherrlichenden sowie pornographischen Inhalten aufwartet.

Safe Spaces für ExtremistInnen

Seiten dieser Art sind nicht an sich rechtsextrem, bieten aber die ideale Plattform für das Verbreiten von extremen Positionen und Parolen. Polemisch formuliert: Es sind „Safe Spaces für ExtremistInnen“. Etwa Mitte 2016 ist die Schneeflocke im gesamten rechten Spektrum gelandet. Seitdem durften sich – gerade im Zuge der US-Präsidentschaftskampagne – sämtliche GegnerInnen der Rechten damit beschimpfen lassen. Die britische Zeitung „The Guardian“ bezeichnete „poor little snowflake“ als die prägendste politische Beleidigung des Jahres 2016. 

Sie zu übernehmen und nach rechts zurückzuschleudern kann nicht die Lösung sein. Hinter dem Flöckchen verbirgt sich der Versuch, das „argumentum ad personam“ (Arthur Schopenhauer) zu legitimieren: „Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“

Das Primat der Pöbelei

In einer hitzigen Diskussion wird mit einem ernst gemeinten „Das finde ich beleidigend“ oder ähnlichem auf eine Grenzüberschreitung hingewiesen. Um den Diskurs fortsetzen zu können müsste nun ein Ausgleich geschaffen werden. Dies erfordert gegenseitigen Respekt und Interesse an den Argumenten der Gegenseite. Wer nur Recht behalten will, ist dazu selten bereit.

Wer „Snowflake“ denkt, sieht die Schuld am Scheitern eines Gesprächs nicht bei der eigenen Grenzüberschreitung. Schuld ist die Sensibilität der Gegenpartei, die sich erdreistet, Grenzen aufzuzeigen.

„Poor little snowflake“ öffnet die Tür zu einem neuen Tiefpunkt der Debattenkultur, bei dem Beleidigungen und Pöbeleien legitim und wichtiger sind als ein sachlicher Austausch von Argumenten. Die unreflektierte Verwendung des Begriffs als Beleidigung leistet dazu ihren Beitrag.

:Frederik Herdering

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