Bild: Türkisches Fahnenmeer in Köln: 40.000 Menschen demonstrierten für Präsident Erdoğan. , Kommentar: Ein Mensch kann zugleich türkisch und deutsch sein Foto: Andreas Trojak (CC BY 2.0)

Die doppelte Staatsangehörigkeit ist wegen der „Deutschtürken“ aktuell in der Kritik. Anlass sind die 40.000 DemonstrantInnen, die in Köln am 31. Juli ihre Gefolgschaft zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigten. 

Bei der letzten Parlamentswahl im November 2015 stimmten knapp 60 Prozent der in Deutschland lebenden TürkInnen für Erdoğans AKP. Die Popularität jenes Autokraten ist bei der türkisch(stämmig)en Bevölkerung hierzulande noch größer, als in der Türkei selbst. Das liegt aber nicht etwa an der doppelten Staatsangehörigkeit vieler TürkInnen, sondern eher daran, dass diese zu spät kam.

In der Bundesrepublik Deutschland leben mehr als drei Millionen Menschen, bei denen mindestens ein Elternteil die türkische Staatsangehörigkeit besitzt oder mal besaß. Von diesen Türkischstämmigen sind jeweils etwa eineinhalb Millionen türkische und deutsche StaatsbürgerInnen. Über eine halbe Million haben dabei gleichzeitig den deutschen und den türkischen Pass. Seit der im Dezember 2014 erfolgten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts müssen junge Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, sich nicht mehr bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen und einer ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden.

Teilhabe und Akzeptanz

Dieser Wegfall des Entscheidungszwanges war in zweifacher Hinsicht richtig: Erstens wird dadurch mehr Menschen zur deutschen Staatsangehörigkeit verholfen, was deren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe erweitert. Zweitens ist die doppelte Staatsangehörigkeit ein Schritt hin zur Akzeptanz der Vielfältigkeit sozialer und kultureller Identität. Ein Mensch kann eben mehr als einem Land verbunden sein, ja kann sich beispielsweise auch zugleich als Deutsche und als Türkin fühlen.

Die besorgniserregende Sympathie der deutsch-türkischen und turko-deutschen Bevölkerung für den despotisch regierenden Erdoğan liegt keineswegs an der Existenz türkischer DoppelstaatlerInnen, sondern ist Folge der jahrzehntelangen gesellschaftlichen Ausgrenzung der „Gastarbeiter“ und ihrer Kinder. Bis zum Jahr 2000 war das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht in völkischer Manier stark am Abstammungsprinzip orientiert und gab denen, die hierzulande als Kinder von AusländerInnen geboren wurden, wiederum nur den Status von AusländerInnen.

Bewusstseinswandel

Entsprechend war auch die in der Gesellschaft früher klar vorherrschende Geisteshaltung: Hunderttausende türkischstämmige Menschen wurden mit der unschönen Lebenserfahrung sozialisiert, ständig als Fremde betrachtet zu werden, obwohl sie in Deutschland aufgewachsen sind und die Türkei nur als Urlaubsland kennengelernt haben.

Zum Glück wandelt sich das gesellschaftliche Bewusstsein hier langsam aber stetig – in dringend notwendiger Annäherung an die soziale Realität. Die Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts von 2000 und 2014 haben jedenfalls ihren wichtigen Teil dazu beigetragen. Statt nun in unsachlich-konservativem Geist die doppelte Staatsangehörigkeit für TürkInnen infrage zu stellen, wie CDU-Politiker Jens Spahn und Journalist Jakob Augstein das kürzlich getan haben, sollte dieses Modell lieber schnellstmöglich ausgeweitet werden. Gerade damit die weitere deutsch-türkische Zukunft nicht der AKP gehört.

:Gastautor Patrick Henkelmann

 

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