Bild: Kampagne gegen Wassersteuer und Sozialabbau: Paul Murphy (3. v. links) und Joe Higgins (4. v. links)., Irische Socialist Party wehrt sich im EU-Wahlkampf gegen Austerität und Sozialabbau Foto: Paul Murphy

Unaufhörlich prasselt Regen auf Regenschirme nieder, welche die Menschen auf dem Weg zur Arbeit dem starken Wind entgegenhalten. Abrupt enden diese irischen Schauer, kurz scheint die Sonne durch, bevor es erneut losregnet. Genauso unvorhersehbar wie das Wetter in Dublin scheinen diesmal auch die Europawahlen in Irland zu sein. Wer über die Straßen der Hauptstadt läuft, kann gar nicht übersehen, dass am 25. Mai die Wahlen für das Europäische Parlament anstehen: An Laternen, Masten oder Ampeln hängen Plakate, auf denen die Parteien um den Einzug ins Parlament werben. 

Viertel vor acht. Bahnen und Busse spucken Menschenmengen aus, die Richtung Arbeit strömen. An den Haltestellen verteilen an diesem Morgen auch Mitglieder und AktivistInnen der Socialist Party in Irland Flyer zur die Wahl. „Stop the Water-Tax! Sign the petition!“, ruft eine Aktivistin den vorbeilaufenden PassanteInnen beherzt entgegen. Die Reaktionen fallen verschieden aus: Einige wünschen „good luck“, manche Yuppies rümpfen angewidert die Nase, Arbeiter der Stadtbetriebe fahren mit erhobenen Daumen hupend vorbei – in Irland eine Geste der Sympathiebekundung. Manche bleiben für kurze Small Talks stehen: Man beklagt zustimmend, wie schwer es geworden ist, über die Runden zu kommen und begrüßt die Kampagne gegen die Wasserbesteuerung.

Erhöhte Kosten durch Wassersteuer

Im Gegensatz zu den etablierten Parteien lehnt die Socialist Party die Einführung der „Water-Tax“, der Versteuerung des Wasserverbrauchs, ab und hat eine Kampagne dagegen gestartet. Offensiv wird dieser Inhalt gegen Austerität (strenge staatliche Sparpolitik) nun vor allem im Rahmen des Europawahlkampfes vorgetragen, in dem es um den Sitz von Paul Murphy, dem MEP (Member of European Parliament) der Socialist Party, geht. Nicht nur gegen die Wassersteuer, sondern gegen den gesamten neoliberalen Sozialkahlschlag in den letzten Jahren in Irland hat sich die Anti-Austerity Alliance (AAA) gebildet, welche die sozial­ökonomischen Folgen der Austeritätspolitik anprangert und versucht, als Verbund, in dem die Socialist Party neben anderen Organisationen und Parteien arbeitet, Widerstand zu leisten und Alternativen gegen Sozial- und Demokratieabbau aufzuzeigen. So kritisiert die  AAA die zu erwartenden Folgen der Wassersteuer: Etwa 240 Euro mehr pro Jahr bedeutet die Steuer; dass die Mehrkosten später auf bis zu 600 Euro steigen, ist nicht unwahrscheinlich – eine enorme Belastung für die lohnabhängige Bevölkerung.

Abwälzung der Krise zu Lasten der Beschäftigten

„Tell labour – Axe the water tax, or watch your vote collapse!“, heißt es auf Plakaten oder Flyern. Während sich neoliberale Ideo­logInnen befleißigen, die Wassersteuer als etwas genauso Natürliches (und Notwendiges) wie das Wasser selbst darzustellen, kritisiert die AAA die Steuer als weitere Maßnahme von vielen, die dazu dienen, die Folgen der Krise auf die Beschäftigten abzuwälzen. Nach der Boomphase, in der viele IrInnen auf Pump Häuser, Autos und andere wichtige Dinge finanzierten, gab es eine große Ernüchterung. Von der Wirtschaftskrise des Kapitalismus, die ab 2007 in den USA begann und schnell Europa erfasste, war auch Irland massiv betroffen. Immobilienblasen platzten, viele Häuser stehen leer, immer mehr Menschen sind von Obdachlosigkeit betroffen. Letzten Samstag gab es in Dublin eine Demonstration gegen die ansteigende Obdachlosigkeit in Irland: Manche versuchen zur Not durch Couch Surfing über die Runden zu kommen, übernachten bei FreundInnen oder Familie, schlafen in Autos oder Wohnwagen. Andere hat es dagegen richtig hart erwischt: Teilweise sehr junge Menschen sind obdachlos geworden – zum Betteln verdammt. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten gestiegen, an den Ausgabestellen der wöchentlichen Sozialhilfe werden die Anstellschlangen immer länger. Gleichzeitig sollen ähnlich wie bei der Agenda2010 auch in Irland flächendeckend Billigjobs eingeführt werden – auch hiergegen regt sich Widerstand.

Unzufriedenheit nach der Krise

Nachdem Irland vor einigen Jahren noch auf Gelder des Rettungsschirms angewiesen war, ist mittlerweile eine gewisse Stabilität eingekehrt: Spanische, gar griechische Verhältnisse sind nicht eingetreten. Irland scheint mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Genau damit werben viele etablierte Parteien wie die irisch-republikanische Sinn Fein oder Fine Gael, eine „Partei der progressiven Mitte“, die die Boomphase mitinitiiert hatten. Trotzdem haben viele IrInnen die Nase voll; man weiß, dass die Parteien die Briefkästen mit ihrer Wahlwerbung füllen. Ein Anwohner hat an seiner Haustür ein Schild ausgehängt, wodurch er die etablierten, bürgerlichen Parteien davon abhalten will, seinen Briefkasten zu füllen – mit dem Hinweis darauf, dass sein Hund hungrig ist. Eine Rezession wurde abgewendet, trotzdem steckt Irland im Korsett der Austerität, wie sie von der Troika (bestehend aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) betrieben wird. Letztendlich haben auch die neoliberalen Parteien in Irland an Zuspruch eingebüßt. Für die nicht-etablierten Parteien wie die Socialist Party oder die kapitalismuskritischen Zusammenschlüssen wie die Anti-Austerity Alliance bedeutet das aber auch eine Chance, ins EU-Parlament einzuziehen.

Chance für nicht-etablierte Parteien

Umso motivierter und engagierter gingen die AktivistInnen der Socialist Party und der AAA in den Wahlkampf mit der Anti-Water-Tax-Campaign. Auch dieser Unterschied wird auf der Straße registriert: Während die etablierten Parteien Firmen beauftragen, ihre Plakate aufzuhängen, wird die Aufgabe hier eigenhändig erledigt: HelferInnen und Mitglieder ziehen mit Plakaten und Leitern in die verschiedenen Stadtgebiete aus, um vor allem ihren Kandidaten präsenter zu machen. Mittlerweile ist dieser, Paul Murphy, stadtweit auf zahlreichen Plakaten als Anti-Water-Tax-Candidate präsent. In den Medien wurde Paul Murphy bisher meist bewusst ignoriert. In einer Polit-Talkshow hatte er neulich aber immerhin die Möglichkeit,  wenige Minuten für sich zu werben: Er sprach sich offen für eine Verstaatlichung der Banken und Schlüsselkonzerne aus und warb für Investitionen in Bildungs- und Sozialprogramme. Im Publikum beklatschten einige diese alternativen Ideen zum Neoliberalismus.

Paul Murphy – Sozialist ins europäische Parlament ?

Als überzeugter Sozialist wird es für Paul Murphy aber schwer, den Sitz, den er 2011 von Joe Higgins, ebenfalls Mitglied der Socialist Party, übernahm, zu verteidigen. Dabei nutzte Murphy sein Mandat bisher immer auch dafür, Bewegungen aktiv und weltweit zu unterstützen. So reiste er während eines Generalstreiks nach Athen oder unterstützte die Proteste auf dem Taksim-Platz und im Gezi-Park in Istanbul. Fast ein Kontrastprogramm zu den üblichen Diäten in den Parlamenten ist Murphys Zurückweisung sämtlicher Privilegien: Der sozialistische Parlamentarier verzichtet auf Verdienste, die über das durchschnittliche Einkommen hinausgehen. Für einen Wiedereinzug ins Europaparlament braucht er allerdings circa 12 Prozent – so viel Wählerzuspruch hatte zumindest Joe Higgins bei seinem Einzug 2010.

Trotzdem stellt sich für viele die Frage, was überhaupt mit einem Sitz im EU-Parlament zu erreichen ist – auch wenn er die 99 Prozent der Bevölkerung vertritt? Wichtige Entscheidungen gehen vom EU-Parlament nicht aus, das Parlament hat nicht mal ein Initiativrecht für Gesetze – Entscheidungen werden von der EU-Kommision gefällt. So fragen sich auch viele PassantInnen, die auf der Straße anhalten und auf die ausgeteilten Flugblätter schauen: „Was kann er schon tun?“ Im Vorfeld eines Fußballspiels eines kleinen Dubliner Working-Class-Clubs verteilt Murphy auch selbst Flyer. Drei Meter weiter wirbt auch die irische Labour-Party. Der vertrauen allerdings viele nicht mehr. Der Kandidat der Socialist Party hat dagegen mit Resignation zu kämpfen. Viel könne man mit einem Sitz nicht tun, aber es sei zumindest eine Stimme der arbeitenden Bevölkerung im Parlament, entgegnet der Kandidat den Resignierten, während der nächste Schauer einsetzt. An dem unbeständigen Wetter in Irland wird sich so schnell nichts ändern. Der Rest scheint offen zu sein.

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