Bild: Bundesliga raus aus Afghanistan! Bei PARTEI-Chef Martin Sonneborn prallen Polit-Realität und Absurdistan ohne Eisernen Vorhang aufeinander., „Bundesliga raus aus Afghanistan“ – Satireschmöker von Wahlkampfgott Sonneborn Foto: USch

Die „hundert reichsten Deutschen“ wollte er „umnieten lassen“ und wurde dafür vom Stern als „Wahlkampfgott“ in den Himmel gehoben: „Die PARTEI“-Vorsitzender Martin Sonneborn (48). Am Freitag, den 13. September 2013, etablierte der parteipolitische verlängerte Arm des „endgültigen Satiremagazins“ Titanic eine epochemachende neue Demonstra­tionsform: die iDemo, bei der 60 Frauen und Männer aus der Hauptstadt und benachbarten Staaten in grauen Anzügen statt Plakaten an Holzlatten befestigte iPads vor dem Brandenburger Tor durch die Berliner Luft schwenkten. Während einer Livestream-Übertragung gingen minütlich etwa hundert politische Forderungen an Angela Merkel ein, die auf die digitalen Transparente projiziert wurden. Eine Auswahl der insgesamt über 25.000 Forderungen an die Kanzlerin hat der PARTEI-Chef zusammen mit seinem Mitherausgeber Matthias Spaetgens beim Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf nun im Satire-Band „Bundesliga raus aus Afghanistan“ publiziert, den Martin Sonneborn jüngst auf der Frankfurter Buchmesse vorstellte. Die :bsz war für Euch dabei.

„In einer Gesellschaft, in der das Smartphone zur Fernbedienung für das eigene Leben geworden ist, zum Garagentoröffner und Manager eines entmaterialisierten Soziallebens, ist die iDemo die wohl zeitgemäßeste und bequemste Form der politischen Kundgebung – sie passt perfekt in eine moderne repräsentative Demokratie“, wird die neue Protestform in der Einleitung des Buches angepriesen. „Lästiges Plakate- und Bannerbasteln entfällt genau wie die Anreise“,  heißt es dort weiter, „und politische Standpunkte können bei Bedarf im Minutentakt gewechselt werden.“ In Zeiten grassierender Politikmüdigkeit könnte sich diese Innovation als zukunftsweisend herausstellen: „Kein Regen! Kein Risiko! Keine Bullen!“ Zugleich wird das fragwürdige repräsentativ- und basisdemokratische Mischkonzept einer „Liquid Democracy“ der an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Piraten-Partei sowie deren Polit-Hipstertum perfekt ironisiert – bis hin zur Selbstaufhebung der iDemo, kulminierend in Selbstsabotage-Forderungen wie „Demonstrationsrecht abschaffen“ und der Parole „Nieder mit der Meinungsfreiheit!“ Denn, so lautet eine weitere binnen 48 Stunden vor der Demonstration eingegangene Botschaft an Merkel: „Is doch eh egal, was wir sagen…“ Pünktlich zur Regierungsbildung veröffentlicht Martin Sonneborn dennoch die besten der exakt 25.856 Forderungen an Merkel: „Damit kein Minister später sagen kann, er habe von nichts gewusst…“

"Wir brauchen ein funktions[un]fähiges Gegenmodell zum immer irrer werdenden Kapitalismus" – Martin Sonneborn auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: USch

Ficken, Freibier, FDP

„Etwa die Hälfte“ der Botschaften an die Kanzlerin sei „komplett unseriös“ und drehe sich um „Ficken“, „Freibier“ oder „FDP“, so heißt es im Vorwort weiter. Zusammen mit den Liberalen habe Die PARTEI immerhin 5,0 Prozent der Stimmen – und somit „eine Spaßpartei aus dem Parlament geschickt“, indem der FDP am Ende just jener 0,2-Prozent-Anteil fehlte, den ihr die Sonneborn-Partei abknöpfen konnte, war sich der Bundesvorsitzende bei seiner vielbeachteten Präsentation auf der Buchmesse sicher. „Gehen Sie bitte nicht zur Wahl oder wählen Sie Die Partei“, lautete das Mantra der Satirepartei im Bundestagswahlkampf, die es sich neben der „endgültigen Teilung Deutschlands“ zur Hauptaufgabe gemacht hat, Konsequenzen aus der Politik der etablierten Parteien zu ziehen: „Inhalte überwinden!“ lautet daher das Motto der Partei sowie das Leitmotiv des Buches.

THC statt AFD

Obwohl der PARTEI-Chef das in einer verräucherten Berliner Kneipe im Wahlkampf ausgetragene „Kanzlerduell der Herzen“ auf Nachfrage der :bsz nach eigenem Bekunden knapp gegen Gregor Gysi verloren habe, nachdem dieser ihm einen Schnaps ins Bier gekippt habe, fehlt auch die Forderung nach „M. Sonneborn als Bundeskanzler“ im Buch nicht – „oder zumindest Vize“ (vielleicht ja unter Gysi). Gleich auf der nächsten Seite wird dann kräftig selbstironisch gegen den (wohl typisch deutschen) politischen Bierernst angezwinkert: „Ich bin so sauer, dass ich sogar hier mitmache“ – um wenige Seiten weiter „Zwei Bier!“ zu fordern. Parteipolitisch kriegt nicht nur die FDP ihr Fett weg: „THC statt AFD“ lautet der wohl griffigste Slogan, während für die Grünen in Anspielung auf ihre Wahlkampf-Forderung einer restriktiven Regulierung persönlicher Lebensgewohnheiten durch einen obligatorischen VegetarierInnentag in Kantinen „1 Tag pro Woche Redeverbot“ gefordert wird. Vergleichsweise glimpflich kommt die SPD mit einem „Singverbot für Nahles“ davon, während für Rösler ein „Kita-Platz“ und „Burkapflicht für Brüderle“ beantragt wird, Westerwelle „unter internationale Kontrolle“ gestellt und der grüne Möchtegern-Euroretter „Cohn-Bandit“ (siehe :bsz 932) gar „über Syrien“ abgeworfen werden soll. Angesichts der komplexen weltpolitischen Gemengelage kann man abschließend nur den AutorInnen der pazifistischen Forderungen in „Bundesliga raus aus Afghanistan“ beipflichten: „Panzer zu Bierdosen!“ und „Sprengt den Rasen – nicht die Syrer!“

Martin Sonneborn und Matthias Spaetgens (Hg.): „Bundesliga raus aus Afghanistan! 25.856 Forderungen an Merkel – was die Deutschen  wirklich wollen“. Cover: Schwarzkopf & Schwarzkopf

Martin Sonneborn und Matthias Spaetgens (Hg.): „Bundesliga raus aus Afghanistan! 25.856 Forderungen an Merkel – was die Deutschen wirklich wollen
Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2013
144 Seiten, 9,95 Euro

 

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