Bild: Stinkefinger Olé: Punk fürs Bücherregal., Bochumer Kumpels schreiben „Punk-Geschichte“ Umschlag/Cover: Henselowsky Buschmann Verlag
(dh) Vor dem Fiege und dem Hansa war die gemischte Tüte… So könnte in betongrauer Vorzeit die Kiosk-Karriere des einen oder anderen Ruhrpott-Punks begonnen haben. Ob das Konzept heute noch zieht? Nicht nur anne Bude, sondern vielleicht sogar in die nächste Buchhandlung? Was die Bochumer Musikfans Dennis Rebmann und Philip Stratmann mit Schmackes zwischen zwei Hardcover-Deckel gepresst haben, lässt sich als gemischte Tüte jedenfalls gut beschreiben: Keine Klümpchen, dafür rund 30 Jahre Punk-Geschichte aus dem Pott, aufgearbeitet in einem bunten Mix aus Interviews, Gastbeiträgen, Songtexten, Fotos und Porträts sind Anfang des Monats im Ruhrgebiets-Verlag Henselowsky Boschmann erschienen.
 
Philip Stratmann, Jahrgang '82, hatte nach eigenen Angaben schon als Baby so etwas wie einen Iro. Er ist studierter Profi- und Tresenphilosoph. In Sachen Punk wurde der Wahlbochumer von den frühen Toten Hosen sozialisiert, was er im Vorwort des 271-Seiten-Schmökers „Mit Schmackes!“ schamlos kundtut. Dennis Rebmann erblickte ein Jahr zuvor das Licht der Welt und beschloss ebenfalls nach einem Toten-Hosen-Konzert (1994 mit Papa) „Punk zu werden“. Die beiden Bochumer genossen nicht nur eine ähnliche musikalische Früherziehung – sie sind auch Kumpels. Allerdings in Punk-Shirts und nicht in Kutten. Daher kam im Jahr 2011 bei einem gemeinsamen Festivalbesuch die Idee, ein Punk-Pendant zum Metal-Guide „Kumpels in Kutten“ herauszubringen. Zwei Jahre später war das Werk vollbracht.

Zwischen Upright Citizens und Prollpunk

Nun ist der hiesige Punkrock, weit über die Reviergrenzen hinweg, dank prolliger Exportschlager wie den Kassierern, Lokalmatadoren oder Eisenpimmel, bekannt. Auf den Punkt bringt es Rommel, Gründungsmitglied und Bassist der Lokalmatadore: „Wir wollten das System eher so von innen wegsaufen.“ Doch erwarten den Mit-Schmackes!-Leser nicht nur illustre Sauf-und-Rauf-Geschichten – wie etwa ein Bericht zum Konzert der „Heiligen Dreifaltigkeit des Ruhrpottprollpunks“ im ostdeutschen Oschatz. Das Buch verfolgt vielmehr auch einen ernsthaften, dokumentarischen Ansatz, ohne allerdings Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. So berichten rund 50 InterviewpartnerInnen und GastautorInnen als ZeitzeugInnen – auch von den Anfängen der Punkbewegung zwischen Dortmund und Duisburg in den späten 70ern und frühen 80er-Jahren. Also aus einer Zeit, in der Dennis und Philip noch Flaumiro-tragend in die Windeln gemacht haben.
Der Musiker und Sozialpädagoge Helge Schreiber zum Beispiel, der schon für Fanzines wie „Maximum Rock 'n' Roll“, „Trust“, „OX“ und „Plastic Bomb“ in die Tasten gehauen und ein Buch über den europäischen Hardcore-Punk herausgebracht hat, ordnet für „Mit Schmackes!“ den Punk der 80er in seinen politischen und sozialgeschichtlichen Kontext ein. Vor seinem persönlichen Erfahrungshorizont schildert Schreiber die Entwicklung einer unabhängigen Subkultur aus Bands, Konzertorten, Läden, Labels und Fanzines, die sich gemäß eines Do-It-Yourself-Gedankens konstituierte: Ohne Selbstverwaltung, so der Tenor, hätte es die Hardcore-Punk-Szene im Ruhrgebiet der 80er Jahre mit ersten wichtigen lokalen Bands wie Bluttat oder den Upright Citizens gar nicht gegeben.

Anekdoten vom Index

Der Professor für Literaturwissenschaft und Mitherausgeber der Zeitschrift „Pop. Kultur und Kritik“ Thomas Hecken erzählt anekdotisch, wie er als Jungdozent an der RUB nach einem Kurs zum Thema „Literatur und Recht“ um einen besonderen Gefallen gebeten wurde: Eine Studentin, damals mit den Kassierern befreundet, bat Hecken doch mit zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu fahren, um dort für die Band, deren Album „Habe Brille“ auf dem Index landen sollte, zu sprechen. „Da konnte man ruhigen Gewissens seinen guten Namen für hergeben“, schreibt Hecken, der zu dem Zeitpunkt offenbar von einer Gutachterkarriere träumte, mit ironischem Unterton. Auszüge aus seinem Originalgutachten, in dem der Akademiker probierte, Texten wie „Ich töte meinen Nachbarn und verprügel seine Leiche“ künstlerischen Wert zu attestieren, zaubern nicht nur Fans der prolligen Gangart ein Lächeln ins Gesicht.

Sachbuchcharakter

Abseits derartiger Geschichten und trotz der bunten Mixtur hat Mit Schmackes! durchaus übersichtlichen Sachbuchcharakter: Im Inhaltsverzeichnis werden die Rubriken Bands, Fanzines, Radios, Splitter, Labels und Läden sowie Orte aufgemacht. Und da ist von A wie Artless bis Z wie Zeche Carl fast alles mit dabei, was die Region Punkiges zu bieten hat. Große Läden und kleine Konzert-Kaschemmen werden gleichermaßen gewürdigt. Auch Bands, deren Mitglieder kaum einer als Musiker bezeichnen würde, die aber irgendwie Kult sind, werden gebührend gefeiert. Bunte Farbfotos illustrieren die Texte. Überschriften, Schlagwörter und Zitate sind farbig hinterlegt. Die Verbindung von Punk und Pott zieht sich mit einem „Vier Fragen an“ und „Songtexte über das Ruhrgebiet“ als Roter Faden durch das Buch. Auch „dem Ruhrgebiet seine Nachbarn“ kommen übrigens zu Wort.
 
Dennis Rebann/ Philip Stratmann:
Mit Schmackes! Punk im Ruhrgebiet
271 Seiten, 18,90 Euro

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