Bild: Zu gut für die Tonne: Die Schnippeldisco macht Bochum zur Suppenküche. , Festival n.a.t.u.r. gibt Denkanstöße für und in Bochum Foto: clu

Seit dem 8. Mai ist Bochum im Ausnahmezustand: Insbesondere im Kreativquartier um das Ehrenfeld und die Innenstadt wird seit diesem Tag wieder gepflanzt, gesät, gebastelt, gebaut, verschönert, diskutiert, gefeiert und gelernt. Das Festival n.a.t.u.r. – „natürliche Ästhetik trifft urbanen Raum“ wartet auf mit zahlreichen verschiedenen Veranstaltungen, die in ihrer Unterschiedlichkeit doch eines gemeinsam haben: zu mehr aktiver Beteiligung am gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben in der Stadt aufzurufen und so den (Lebens-)Raum schöner, grüner, fairer und insgesamt lebens- und liebenswerter zu gestalten.

Es gibt und gab Workshops zum Thema Bienenhaltung und Guerilla Gardening, Vogelspaziergänge, Pflanzentauschbörsen, gemeinsames Baumhaus-Bauen, ein Zoologie-Quiz, sportliche Ertüchtigung und vieles, vieles mehr. Auch der Vortrag „Lebensmittel gestalten die Stadt – Aufbruch in die urbane Ernährungswende“ war eines der bunten Mosaikteilchen im Festival-Programm. Der an der TU Dortmund studierte Raumplaner Philipp Stierand berichtete dabei über den Wandel im Umgang mit Lebensmitteln, gab Einblicke in Hintergründe und Geschichte des allgemeinen Ernährungssystems und informierte über neue urbane Entwicklungen. Zu seinem persönlichen Thema kam Stierand, der beruflich im Bereich Naturkost gelandet war, während der Auseinandersetzung mit Parmesan. Hierbei ging es, so merkte Stierand, fast ausschließlich um den Faktor Raum: Der Käse musste aus einem bestimmten Raum kommen, die dazu verarbeitete Milch ebenfalls und auch an die Lagerung gab es verschiedene räumliche Anforderungen. Obwohl „Raum“ das große Thema im Studium der Raumplanung gewesen war, fiel ihm auf, dass Lebensmittel und Ernährung hierbei wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. So machte er diese Verbindung zum Thema seiner Promotion und gründete den Blog www.speiseraeume.de. Der Blog informiert über verschiedene Ernährungssysteme und zeigt Möglichkeiten auf, wie man sich wieder aktiv mit seinen Lebensmitteln auseinandersetzen kann und welche aktuellen Entwicklungen es dabei gerade gibt.

Von der Subsistenz zur Delokalisierung und wieder zurück?

Während vor der Industralisierung die Lebensmittelversorgung auf lokaler Ebene stattfand und Subsistenz (Selbstversorgung) die vorherrschende Wirtschaftsform der Städte war, führte die Entwicklung und Modernisierung zu Delokalisierung und damit einhergehend auch zu mehr Passivität der VerbraucherInnen, die zunehmend den Bezug zu ihren Lebensmitteln und deren Herstellung verloren. Ein lokales Ernährungssystem wurde überflüssig, bis heute werden Fragen der Erzeugung, Zubereitung und Verarbeitung ohne jeglichen Einfluss der VerbraucherInnen entschieden, und das meist auf globaler beziehungsweise europäischer Ebene. Dennoch passiert im Bereich der Lebensmittelversorgung gerade unglaublich viel. Stierand erklärt dies anhand von vier Faktoren: Einem schwindenden Vertrauen der VerbraucherInnen in Ernährungssystem und -politik, das diese nach neuen Quellen suchen lässt, einem wachsenden Umwelt- sowie Gesundheitsbewusstsein und schließlich einem verstärkten Wunsch nach fairen Bedingungen für die Hersteller- und ArbeiterInnen. Beispiele für Entwicklungen zurück zu einem lokalen und hin zu einem urbanen Ernährungssystem sind etwa der Prinzessinnengarten und Markthalle 9 in Berlin, das Neuland in Köln aber auch der food policy council in Bristol.

Sozialer Kitt

Dass die urbane Landwirtschaft ein großes Potential hat, davon ist Stierand fest überzeugt. Sie kann als Bildungsmedium dienen, den sozialen Zusammenhalt stärken, ist gelebte Raumgestaltung und Mobilmacher zugleich. „Ein urbanes Ernährungssystem ist eng mit dem Sozialleben, den ökologischen wie wirtschaftlichen Kreisläufen und der Kultur der Stadt verbunden“, heißt es im von Stierand veröffentlichten Creative-Commons-Ebook „Stadtentwicklung mit dem Gartenspaten: Umrisse einer Stadternährungsplanung“, das ein Plädoyer für eine aktive und systematische Auseinandersetzung der Stadtplanung mit der Ernährung der Menschen ist. Auf etwa 70 Quadratmetern kann eine Person sich weitestgehend selbst versorgen. Doch neben dem persönlichen Mehrwert eröffnen sich auch neue Perspektiven für die Städte, so Stierand.

Schnippeln gegen die Verschwendung

Auch das Thema Verschwendung sprach Stierand an. Während in den Industrieländern sogenannter Konsummüll einen Großteil der nicht verbrauchten Lebensmittel ausmacht – also Waren, die zwar gekauft werden, aber im privaten Mülleimer landen –, ist in den Entwicklungsländern vorwiegend schlechte Lagerung dafür verantwortlich, dass vieles unverzehrt bleibt. Gegen die Verschwendung von Lebensmitteln stellte sich auch die Festival-Veranstaltung „Schnippeldisco“ am Samstag am KAP. Unter Food-Aktivist Wam Kat und seinem Fläming-Kitchen-Team sowie den AktivistInnen des Slow Food Youth Movements schälten und schnippelten Hunderte gemeinsam für eine Suppe, deren Zutaten allesamt von verschiedenen Höfen gespendet und von der Wattenscheider Tafel gesammelt worden waren. Auch das schlechte Wetter konnte die Stimmung nicht trüben und am Ende gab es Suppe satt.

www.2013.festival-natur.de

www.speiseraeume.de

www.slowfood.de/slow_food_youth_deutschland
 

 

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