Die Deutschen scheinen eine neue Volksdroge für sich entdeckt zu haben: Hoher Suchtfaktor, das Gefühl, im Streben nach Glückseligkeit mindestens 21 Level weitergekommen zu sein und die euphorische Hoffnung, den Gipfel der Individualität erstürmt zu haben. Dies sind nur einige der phantastischen Wirkungen. Die Dröhnung hat einen Namen: Do it yourself! Wie Pilze schießen seit einigen Monaten Institutionen, Vereine und Veranstaltungen aus dem Boden, die neben Know-How auch die passende Community anbieten: Nähcafés, Siebdruck-Workshops (bedruckt werden natürlich Jute-Beutel!), offene Werkstätten, Strickbars, Design-Märkte, Anbauseminare (Gemüse, was sonst?) Plastizierkurse und und und…
Nicht nur bei der Wollmütze kommt es aufs „Wer hat’s erfunden?“ an, und wer auf diese Frage nicht mindestens Namen und Anschrift der fleißigen Strickerin kennt, hat verloren. Bei der boomenden Website für Selbstgemachtes, Dawanda, kann jeder, der mehr als für den Eigenbedarf produziert, seine Waren verkaufen. Es gibt dort Ohrringe aus alten Skateboards, handbemalte Notizbücher, Babykleidung aus handgefärbter Bio-Wolle, verzierte Kerzen, mundgeblasene Weihnachtskugeln, Deko, Kleidung, Möbel, einfach alles! Die Geschäfte laufen gut, das hat sich mittlerweile rumgesprochen und ähnlich den Dealern illegaler Substanzen wird per Mundpropaganda verbreitet, wo es aktuell den besten Stoff gibt. Also echten Stoff jetzt. Rezepte und Bastelanleitungen werden getauscht und gesammelt wie dereinst nur Glanzbilder oder Samt-Sticker.
Doch das Phänomen DIY ist nicht neu, nur die DarstellerInnen haben sich verändert: Der Ursprung dieser „Mach-es-dir-selbst-Mentalität“ liegt irgendwo im Punk, geboren als Idee von Auflehnung und Selbstermächtigung, in Ablehnung allen Massenkonsums, der Bürgerlichkeit, der Elite, die von der Stange beim kapitalistischen Label kauft. Stattdessen wurde geflickt und geschustert was das Zeug hielt, große Symbolkraft entwickelte die Sicherheitsnadel: ob als Nahtersatz an der Hose oder als Perlenersatz im Ohr, sie hielt alles zusammen und grenzte ihreN TrägerIn gleichzeitig vom Einheitsbrei der Masse ab. Doch das Blatt hat sich gewendet: Die Szene der SelbermacherInnen ist heute so riesig, dass die Rolle des Underdogs eher denen zukommt, die nicht mithäkeln, -schneidern oder -einkochen. MusikerInnen produzieren lieber wieder selbst, Eltern stricken selbst, Brüder drehen Zigaretten selbst, Mädchen bauen sich Möbel selbst und bedrucken T-Shirts selbst. Und wer besonders gut selbstmacht, der schreibt darüber selbst einen Blog oder sogar ein Buch. Darin finden sich dann wiederum Anleitungen zum Selbermachen. Wer keine Zeit oder Talent zum Selbermachen hat, der kauft wenigstens etwas Selbstgemachtes. Und alle, die mitmachen, die wissen, wer den Pullover genäht, die Marmelade eingekocht und das Frühstücksgeschirr bepinselt hat, fühlen sich sehr wohl.
Einerseits vergibt das Gewissen angesichts des neuen Bewusstseins die begangenen Sünden chinesischer Kinderarbeit, andererseits wird mensch sich wieder darüber bewusst, was er wirklich kann – und was nicht. Nicht nur Marx hat erkannt, dass wir die Beziehung zum Produkt unserer Arbeit verlieren und dadurch unglücklich werden. Auch Forscher bestätigen heute: Etwas selbst herzustellen, macht glücklicher. Vielleicht sollten also noch viel mehr Menschen diesem Trend folgen. Die Weihnachtszeit bietet sicherlich genug Gelegenheiten!