Bild: To be or not to be? Punk not dead! , Verfilmte Punk-Version vom künftigen Aufstand Foto: www.dertagwirdkommen.de

2007 erschien der politische Essay „Der Aufstand, der kommen wird“ («L‘Insurrection qui vient»). Ein Jahr später begannen die Verwerfungen der Wirtschafts- und Währungskrise, das politisch wie ökonomisch auf Sand gebaute Potemkinsche Dorf Europa fast zum Einsturz zu bringen. Dennoch wird bis heute von denen, die noch können, fleißig weiter konsumiert, und die DissidentInnen harren dem Aufstand wie in Samuel Becketts berühmtestem Drama Estragon und Co. Godot. Damit ist nun Schluss: Seit dem 2. Mai ist im Programmkino-Hit „Der Tag wird kommen“ («Le grand soir») von den französischen Kult-Regisseuren Benoît Delépine und Gustave Kervern („Louise hires a contract killer“ [2008] und „Mammuth“ [2010]) zu sehen, wie praktizierter Punkismus den Aufstand antizipieren kann.
„NOT“ steht auf der Geheimratsecken-Stirn des Punk-Protagonisten Benoît Bonzini (Benoît Poelvoorde) geschrieben. Aus dem Off hallt ein Martinshorn. Benoît spuckt aus. „Den ham se gegen die Wand gedrückt, ihm das T-Shirt übern Kopf gezogen und ihm dann eine reingehaun“, wispern Passanten. Mit Dosenbier richtet er seinen spärlichen Iro wieder auf und zieht mit Rucksack und Punk-Terrier weiter. Benoît, „der älteste Punk mit Hund in Europa“, ist nicht unterzukriegen – ohne jede Furcht vor Kameraüberwachungsterror, Security und Bullerei surft er unbeirrt auf Einkaufswagen über zugestellte KundInnenparkplätze, verhöhnt die betuchte Klientel eines Luxusrestaurants und empfiehlt Krebskranken „Biokrebsmarienkäfer“ statt Chemotherapie: Anarchistisch und schwarzhumorig erzählt „Der Tag wird kommen“ vom symbolhaften Aufstand in einer öden Konsumwüste.

„Heilsame Verwilderung“

Die französisch-belgisch-deutsche Co-Produktion ist aber nicht nur eine zuweilen verstörende Verfilmung einer heroischen Punk-Vita, sondern zugleich die wunderbare Geschichte einer „heilsamen Verwilderung des entfremdeten kleinen Angestellten“ (www.dertagesspiegel.de), Benoîts spießbürgerlichem Bruder Jean-Pierre aka „DEAD“ (Albert Dupontel). Als dieser wegen mangelnder Umsätze als Matratzen- und Bettenverkäufer gefeuert wird und einsehen muss, dass man besser das Familienstammbuch fälscht als seinen Lebenslauf zu optimieren, um durch ´Vitamin B` an eine neue Stelle zu kommen, kommt es zunächst zu einem „amokartigen Ausraster“ (www.dertagwirdkommen.de). Selbst eine Selbstanzündung des vermeintlich gesellschaftlich Deklassierten scheitert jedoch, und sein Punk-Bruder nimmt ihn mit auf einen neuen, abenteuerlichen Weg: „Du warst ein Kuckuck und wirst zum Adler. […] Du dachtest, Dein Leben wär vorbei, aber es beginnt gerade.“ Erstmal muss aber die benzingetränkte Krawatte ab: „‘N Hund, der ausreißt, nimmt ja auch nicht sein Halsband und seine Leine mit.“

Immer in Bewegung bleiben

Als dann auch noch der vermeintliche Vater der beiden Brüder nach über 40 Jahren gesteht, nicht ihr Vater zu sein, gibt es – wie zu Zeiten der britischen „No future“-Punkbewegung seit dem Durchbruch der Sex Pistols (1977) – endgültig kein Halten mehr: „Wo können wir noch hin? Erst haben wir keine Zukunft mehr – und jetzt auch keine Vergangenheit…“ Wie zu Beginn der 80er Jahre auch in deutschen Metropolen den urbanen Raum neu definierenden ´Härtepunks` streifen NOT & DEAD fortan im strikten Geradeausgang durch schier endlose Vorortsiedlungen und ignorieren Zäune und Mauern als obsolete Abgrenzungen individueller Eigentumsverhältnisse – frei nach dem Motto: „Worte zählen nicht, also will ich Taten folgen lassen.“ Auch wenn der Versuch der beiden Brüder, ein bourgeoises Gala-Dinner aufzumischen, schließlich in einem Müllcontainer endet, ist der Weg das Ziel – denn schließlich gelte es, trotz aller Rückschläge immer in Bewegung zu bleiben, verrät NOT seinem Bruder. „Oder hast Du schon mal einen fetten Punk gesehen?!“

Punk‘s not dead

Es ist der aufrüttelnde Gestus einer oftmals totgesagten Gattung, der den Film prägt und gerade in Krisenzeiten notwendiger scheint denn je: „WE ARE NOT DEAD!“ lautet die Essenz der Überlebensanleitung von „Der Tag wird kommen“ in einer grotesk entfremdeten Welt.

„Nur sehr wenige Filme schaffen es, die Missstände unserer Zeit derart präg­nant zu fassen: Von der Unsicherheit des Arbeitsplatzes, dem allgegenwärtigen Überwachungswahn bis zu einem eklatanten Mangel an Solidarität. Die Verortung des Films in einer Konsumlandschaft und das Gespür der Regisseure für Situationskomik kommen in ihrer Vollendung einem Geniestreich gleich.“ (Le Monde)

„Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut an eine tiefgreifend kranke Gesellschaft angepasst zu sein.“ (Jiddu Krishnamurti)

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