Bild: Electronic Arts‘„Titanfall“: Bei AAA-Titeln ist auch das Werbebudget gigantisch, wie dieser Riesenmech auf der gamescom beweist., Videospiele: Massenkompatible Plattitüden gegen den ernsten Untergrund? Foto: wikimedia commons / holek
Am vergangenen Sonntag ist die größte Messe digitaler Spiele, die gamescom in Köln, zu Ende gegangen. Mehr als 340.000 BesucherInnen bestaunten Konsolen der nächsten Generation (über die sich die Presse recht enttäuscht zeigt) und große Hits für die derzeitigen Spielekonsolen und den PC – und konnten beobachten, wie das Medium Computerspiel nur sehr langsam erwachsen wird.
 
Noch vor der E3 (Electronic Entertainment Expo) in Los Angeles und der Tokyo Game Show ist die gamescom in Köln die größte Computer- und Videospielmesse der Welt, gemessen an Besucherzahlen zumindest. Anders als die E3 ist die gamescom allerdings nicht nur eine Fach-, sondern auch – und vielleicht sogar in erster Linie – eine Publikumsmesse. Natürlich kommt aber auch in Köln das Fachpublikum nicht zu kurz. Eher von brancheninterner Wichtigkeit ist denn auch die Verleihung der gamescom awards. Die internationale Jury bestand aus 19 JournalistInnen. Die Gewinner in den einschlägigen Kategorien, teilweise nach Genre und System aufgeteilt: Sport- und Rennspiele („Mario Kart 8“, „FIFA 14“), Fantasyspiele („The Elder Scrolls Online“, „The Legend of Zelda: A Link Between Worlds“ ), Science-Fiction-Spiele („Destiny“, „Titanfall“). Aber auch in den Besucherhallen: Überall dicke Wummen, schöne Frauen, große Schwerter, bunte Farben, hohe Geschwindigkeit. Nach wie vor geht es in der kommerziell erfolgreichen Computerspielwelt um tolle Grafik – und vor allem um Spaß. Fun – das Zauberwort in der Branche.

Gute Grafik ist nicht schlimm

Am Fortschritt in der visuellen Darstellung digitaler Welten ist nichts auszusetzen. Gute Grafik kann die Illusion verbessern, das Eintauchen in die Spielwelt erleichtern, die Immersion erhöhen. Und erst recht ist nichts Verwerfliches am Spaß am Spiel. Der Mensch spielt gerne und hat gerne Spaß, er spielt, um Spaß zu haben. Beim Videospielen abschalten, Freude empfinden, das Hirn mit Glückshormonen vollpumpen. Doch können Computerspiele weitaus mehr als uns mit dem Glück eines gewonnenen Wettkampfes oder der Befriedigung einer gemeisterten Herausforderung zu beschenken.
Denn wie andere Medien auch, wie Bücher und Bilder, wie Filme oder Musik haben auch Spiele noch eine ästhetischen und inhaltlichen Wert. Spiele arbeiten mit Farben und Formen, mit Klängen und Melodien. Sie können Geschichten erzählen. Und – und das unterscheidet sie von Filmen – sie sind interaktiv. Der Deutsche Kulturrat handelte ganz richtig, als er im August 2008 Computerspiele offiziell zum Kulturgut erklärte. Das Potential dieses Mediums ist enorm. Doch in vielerlei Hinsicht wird dieses Potential nicht genutzt. Computerspiele sind ja noch ein ganz junges Medium, mag man einwenden, doch sind mehr als 40 Jahre schon gar nicht mehr so jung. Außerdem leidet es unter dem Peter-Pan-Syndrom: Anscheinend will es gar nicht erwachsen werden.

Eine Prise Politik gefällig?

Denn zwar liefern viele Spiele Unterhaltung für Erwachsene, doch da sich dies vor allem in der Darstellung von Gewalt äußert, ist die Unterhaltung selbst eben nicht erwachsen. Viele EntwicklerInnen sehen es allerdings auch als gut an, so wie es ist. Ein Spiel sei eben ein Spiel und diene in erster Linie zur Unterhaltung. Zwar kann man beobachten, dass selbst in Shootern und anderen Actionspielen, in denen es vornehmlich darum geht, den Feind oder die Feindin auszuschalten, bevor dieseR eineN selbst erledigen kann, in den letzten Jahren viel mehr Wert auf eine spannende, tiefe und komplexe Geschichte gelegt wird, doch kann da noch weitaus mehr kommen. Rae Grimm schreibt auf IGN Deutschland: „Warum sollte sich ein Spiel wie ‚Splinter Cell: Blacklist‘ auch nicht nebenbei mit der Ethik von Verhören beschäftigen oder Grand Theft Auto V ein Am-Rande-Statement über das US-Strafsystem abgeben? Das Basismaterial schließt solche Konzepte nicht aus. Im Gegenteil, es bietet sich sogar an. Es würde den Spielen eine größere Tiefe geben und aufgrund ihrer Reichweite zu mehr Gamern gelangen.“

Die Kunst der Verquickung

Oder würde es eher abschrecken? Es kommt, wie immer, auf das Verhältnis zwischen Spaß und Ernst an und auf die Präsentation. „Ernste“ Filme bedienen eine relativ kleine Zielgruppe, das Programmkino im Bahnhof Langendreer ist hundertmal kleiner als das UCI mit seinen Blockbustern. Philosophische und gesellschaftskritische Inhalte kann man aber auch unterhaltsam verpacken, wie die Comic-Verfilmungen „V wie Vendetta“ oder „Watchmen“ eindrucksvoll demonstrieren.
Die starke Story hinter vielen Spielen zielt vor allem auf Emotionen. Fast schon sprichwörtlich ist unter SpielerInnen die Trauer, die man bei Aeris’ Tod in „Final Fantasy VII“ empfand; die Identifikation des Spielers/der Spielerin mit ActionheldInnen geschieht immer öfter über die emotionale Verbundenheit mit der Figur. In Quantic Dreams Spielen „Fahrenheit“ und „Heavy Rain“ geschieht das sehr kunstvoll und gelungen.
 

Zwischen Unterhaltung, Kunst und Agitation

Die Entwicklung eines aufwändigen Computerspiels wie „Skyrim“ ist teuer und langwierig und letztlich doch immer ein Geschäft. Entsprächen die Verkaufszahlen den BesucherInnenzahlen eines Programmkinos, rentierte sich die Produktion nicht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die EntwicklerInnen oft zu 100 Prozent auf Spaß setzen und sich scheuen, auch nur fünf Prozent Politik reinzubringen. Mit Sicherheit aber ist das der Grund, weshalb die ernsten Spiele aus der unabhängigen EntwicklerInnenszene stammen. „Cart Life“ ist ein „Prekäre-Lebenslage-Simulator“. Der Spieler oder die Spielerin muss in diesem grafisch minimalistischen Spiel seine bzw. ihre Spielfiguren trotz schlecht bezahlter Jobs und zu hoher Mieten durchs Leben führen. In „dys4ia“ arbeitet die Entwicklerin ihre Geschlechtsumwandlung auf. Das internationale Projekt „Katawa Shoujo“ ist eine typisch japanische Dating-Simulation. Bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal hierbei: Die potentiellen Beziehungskandidatinnen sind Schülerinnen einer Schule für Kinder mit Behinderung. „Trauma“ ist ein gelungenes, leicht verstörendes interaktives Kunstwerk über die Träume eines Komapatienten.
 
Nicht zu Unrecht fragt man sich dabei bisweilen: Müssen Spiele Spaß machen? Sind das dann überhaupt noch Spiele? Wie man diese Fragen auch beantworten mag: Es ist gut, dass es diese unterschiedlichen Arten von Software gibt. Und es ist gut, wenn sie einander beeinflussen, denn das Medium bietet für die Samen, die sie einander säen, den kreativ fruchtbarsten Boden, den es überhaupt gibt.

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