Bild: Schnelle Autos: für viele begehrenswert. , Ein Körper aus „Titane“ Symbolbild

Review. Mit „Titane“ schafft Julia Ducournau einen wuchtigen Film, der sich problemlos zu den Klassikern des Body-Horror gesellen kann. 

Direkt zu Beginn des Films wird die doch recht extreme Vorliebe der Protagonistin Alexia für Autos fatale Folgen haben. Wegen eines Unfalls, den sie selbst mitverursacht hat, muss ihr eine Titanplatte in den Schädel implantiert werden, die ihre Zuneigung zu den schnellen Maschinen auf vier Rädern noch verstärkt. Ihr ganzes Leben richtet sie auch im Erwachsenenalter darauf aus, ihren Lieblingsautos so nah wie möglich zu sein, weshalb sie sich auch als Erotiktänzerin bei einer Show lasziv auf möglichst coolen Fahrzeugen räkelt. Personen, die sich als Hindernis dafür erweisen könnten oder sie mit menschlicher Sexualität belästigen, werden ohne Rücksicht auf Verluste und sogar mit einer gewissen sadistischen Lust behandelt.
Die dabei gezeigten Szenen kratzen oft mit einfachen Mitteln hart an den Grenzen des Erträglichen für die Zuschauenden. Der Dualismus von Fleisch und Stahl, Mensch und Maschine, manifestiert sich in Alexia zu einem transhumanistischen Wesen. Mit ihrem erst zweiten Spielfilm zeigt die noch junge französische Regisseurin Julia Ducournau, wie schon in ihrem Kannibalismus-Horrorfilm „Raw“ von 2016, wieder viele nackte Körper, die jedoch nach und nach von jeglicher Sexualisierung gelöst werden. Was erst noch begehrenswert erschien, ist im nächsten Moment schon wieder nicht mehr als ein großer Haufen Fleisch, dessen natürliche Funktionen schnell ekelerregend werden können. Die Autos, und besonders das Exemplar der Begierde, das mit seinen grell lackierten Flammen und dem bulligen Gehäuse eigentlich wie der feuchte Traum eines zwölfjährigen Jungen wirkt, werden durch die Inszenierung den lebendigen Körpern gleichgestellt. Die Organe unter der Motorhaube, durch die Benzin und Motoröl fließt, wirken wie ein kräftigeres Abbild der kümmerlichen menschlichen Biologie, die Umständen wie dem Alterungsprozess unterworfen ist.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Films, in der die Geschichte in ein bizarres Familiendrama kippt, kämpfen Alexia und die anderen Figuren stark mit dem eigenen Körper, der nicht so will wie sein:e Besitzer:in. Körper können zwar verändert und angepasst werden, wie man es sich wünscht, doch das gelingt in diesem Fall nur durch autoaggressive Gewalteinwirkungen, die mit großen Qualen verbunden sind. Agathe Rousselle, die mit ihrer Darstellung von Alexia ihr fulminantes Film-Debüt gibt, spielt die Ambivalenz der extremen Figur hervorragend und gibt dem Publikum schon durch ihr ungewöhnlich androgynes Gesicht den ganzen Film über eine perfekt geeignete Projektionsfläche der Ängste. Der Horror ist meist schlicht und dennoch zutiefst unangenehm, denn wie es dem Body-Horror-Genre eigen ist, wird das Gesamtbild des funktionierenden Körpers auf albtraumhafte Weise dekonstruiert. Dazu zählt in diesem Fall auch das Spiel mit Geschlecht und Identität, deren Wahrheit in „Titane“ ständig verschleiert und verändert werden muss.
Trotz der teils erschlagenden Bilder kann man als Zuschauer:in kaum den Blick von der Leinwand lösen, denn die Kamera findet immer wieder neue Perspektiven auf die brodelnde Alexia, deren ungewöhnliche Leidenschaft stets von einem herausragenden Soundtrack begleitet wird. Dieses Zusammenspiel sorgt für einen mitreißenden Sog, der auch für die Auszeichnung als Bester Film mit der Goldenen Palme in Cannes gesorgt hat. Es gelingt ein zutiefst verstörender Genrefilm, der einen modernen Blick auf Weiblichkeit und Begierde wirft.

:Henry Klur

 

 

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