Bild: Viel Platz für weitere Erinnerungsorte: Informationen über die sieben schon bestehenden Stelen sind auch auf der Website der Evangelischen Stadtakademie zu finden., Erinnerung an jüdische Geschichte "vor Ort" Bild: mafa

Lokale Erinnerungskultur. „Im jüdischen Bochum – Spurensuche auf dem Stelenweg“ ist ein am Donnerstag im LutherLab vorgestelltes Buch, das eine jahrzehntelange Erinnerungsarbeit „vor Ort“ darstellt.

Am Wochenende konnte anhand des Gedenkens der Novemberpogrome 1938 beobachtet werden, wie verschieden Erinnerungskultur gelebt werden kann. Ein Team der Evangelischen Stadtakademie rund um den ehemaligen Leiter Dr. Manfred Keller setzt auf die Wirkmacht lokal angebundener Erinnerung an jüdische Geschichte. Zusammen mit Theolog*innen und Historiker*innen, wie der Koryphäe der Bochumer Stadtgeschichte Dr. Hubert Schneider, forschte das Team über Jahrzehnte zur reichen Geschichte der Bochumer Juden und Jüdinnen, die im 17. Jahrhundert begann. Aus der Recherche entwickelte sich unter anderem das Projekt „Jüdisches Leben in Bochum – Orte der Erinnerung“ in dessen Rahmen, beginnend 2010, sieben Stelen in Bochum aufgestellt wurden. Die Glaskästen mit Bildern, Texten und Zeitstrahlen wollen an Erinnerungsorten spezielle Aspekte jüdischen Lebens erfahrbar machen. Das Projekt hat Manfred Keller, dem die Jüdische Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen 2015 genau wie Hubert Schneider die Dr. Ruer-Ehrenmedaille verlieh, nun auch in Buchform abgefasst. Die Veröffentlichung „Im jüdischen Bochum – Spurensuche auf dem Stelenweg“ fasst kompakt den Inhalt der Stelen und ihre Entstehungsgeschichte zusammen und lädt anhand von Stadtkarten zu einem Spaziergang über den Bochumer Stelenweg ein.

Die heute in Bochum lebende jüdische Gemeinde wird als historisch dritte gesehen: Sie konstituierte sich ab den 1990ern zu über 90 Prozent aus jüdischen Geflüchteten aus der Sowjetunion, denen das Projekt Stelenweg auch ein Zugehörigkeitsgefühl zu Bochum vermitteln wollte. Die zweite jüdische Gemeinde, die sich 1945 aus neu zugezogenen oder zurückgekehrten, dem Genozid entgangenen, Jüdinnen und Juden gründete, überalterte mit der Zeit. Die erste, traditionsreiche Gemeinde, die 1930 mit 1.244 Mitgliedern die drittgrößte in Westfalen war, schrumpfte im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgung bis 1941 auf 253 verarmte, in sogenannten „Judenhäusern“ untergebrachten Menschen jüdischen Glaubens. Ein Großteil von jenen, die nicht mehr emigrieren konnten, wurde in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet. Wichtig ist Manfred Keller jedoch, dass die Erinnerungsarbeit die jüdischen Bürger*innen nicht auf eine „Opferrolle“ reduziert, sondern hervorhebt, welch großen Einfluss sie über Jahrhunderte auf das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in der Stadt nahmen.So erinnert die Stele an der Ecke Massenbergstraße / Schützenbahn an die Anfänge der jüdischen Gemeinde mit dem Bau einer Synagoge 1861-63 und die an der Huestraße/Ecke Dr.-Ruhr-Platz an Else Hirsch und Else Philipp, welche 1939 elf „Kindertransporte“ nach England organisierten.

Die Erinnerung an die jüdischen Gemeinden, etwa durch die Stolperstein-Aktion, ist in Bochum laut Keller erst spät und anfangs nur durch Anregung jüdischer Bürger*innen angestoßen worden. Es brauche kontinuierliche Aufarbeitung und den breiten Dialog, um junge Generationen, die keinen persönlichen Bezug zu Teilen der Geschichte und Zugriff auf Zeitzeug*innen mehr haben, „intellektuell wie emotional“ zu erreichen. Auch das Projektteam hat Gegenwind erfahren und Keller betont besonders nach Halle die Relevanz einer „befreienden“ Erinnerungskultur nach Jan und Aleida Assmann und „bürgerlicher Solidarität“. So stellt die Initiative sich inklusiv auf: „Wir gehören nicht zu den Historiker*innen, die möglichst alle ausschließen wollen“, sagt Keller. Das Team hat bereits mit zahlreichen Kooperationspartner*innen wie etwa der Goethe Schule an Stelen gearbeitet und weitere Ideen in petto.

:Marlen Farina

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