Bild: Konzentrationslager Stutthof: Hier war der nun angeklagte Johann Rehbogen als SS-Mann stationiert., Prozesse gegen NS-Verbrecher*innen sind noch immer wichtig und richtig Bild: Pipodesign Philipp P Egli, CC BY-SA 3.0 creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Kommentar. Wieder steht ein ehemaliger KZ-Aufseher vor Gericht. Dem 94-jährigen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Einige finden solche Prozesse überflüssig. Doch das sind sie nicht.

Vor dem Landgericht Münster begann vergangene Woche ein weiterer Prozess gegen einen ehemaligen KZ-Aufseher. Der inzwischen 94-jährige Johann Rehbogen habe nichts von den mehr als 65.000 Toten in Stutthof mitbekommen. Trotzdem wird ihm der Prozess gemacht, denn vor zwei Jahren hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass bereits die Bewachung eines Konzentrationslagers zum Schuldspruch ausreicht. Dass Rehbogen mit seinen 94 Jahren vor Gericht steht, stößt vor allem in den sozialen Netzwerken auf Unverständnis einiger weniger. „Laßt die alten doch einfach zufrieden hier ist der kleine Mann wieder der dumme“, kommentiert jemand auf Twitter. Auf Facebook geht man weiter, man hat ja auch mehr Zeichen zur Verfügung: „Das war seine Arbeit. Für fremde Genugtuung soll er verurteilt werden. Irgendwer legt heute fest, was damals nicht in Ordnung war“, heißt es unter einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, bei der „Bild“ geht der*die geneigte Kommentator*in natürlich weiter: „Lächerlich …. sollen lieber heute die Herrschaften bekämpfen die hier her kommen und ärger machen…“ oder „Hätten wir nicht das selbe getan wie er ?“ sind keine Seltenheit.  Keine Frage, man hat Mitleid mit dem alten Mann. Aber gleichzeitig schimpft man in den gleichen Kommentarspalten über Israel und äußert Verständnis für die Shoa. Man fordert Freiheit für einen Massenmörder, aber Abschiebehaft für jede*n, die*der nicht deutsch genug aussieht.

Ewige Schuld

Eine Verjährungsfrist für Mord gibt es nicht, auch keine für die Beihilfe. Und daher ist es folgerichtig, dass auch 94-jährige Täter vor Gericht kommen. Es ist ein Akt der Gerechtigkeit, dass all diejenigen für die Taten der NS-Zeit bestraft werden, derer man habhaft werden kann. Ganz im Sinne der überlebenden Widerstandskämpfer*innen des KZ Buchenwald, die wenige Tage nach ihrer Befreiung schworen: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“
Es darf keinen Schlussstrich geben, denn ein solcher würde zur von Björn Höcke erhofften „erinnerungspolitischen Wende“ führen. Die Erinnerung an die Verbrechen des Faschismus ist eine Ewigkeitsaufgabe, sie endet weder nach 80 Jahren, noch bei Prozessunfähigkeit der Mörder*innen von damals. Und daher ist es nicht nur moralisch richtig, wenn Johann Rehbogen vor Gericht steht, es ist notwendig, dass auch alle anderen verbleibenden Täter*innen ausfindig gemacht und ebenfalls verurteilt werden. Sie alle haben in den vergangenen Jahrzehnten zu lange unbehelligt unter uns gelebt. Jede Verurteilung ist auch ein Mahnmal dafür, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst sind, eine Veranwortung, die der Shoa-Überlebende Max Mannheimer formulierte: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“

:Justinian L. Mantoan

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