Bild: Meterhohes Ekelpaket: Während im Hintergrund das wohl ekelhafteste Bühnenbild der MZ-Geschichte ertrahlt, erregen Max (Laron Janus) und Paula (Caroline Königs) menschliche Abscheu., „Haut I & II“ im Musischen Zentrum schockiert und verwirrt Foto: Jan Turek

Hat jemand schon so etwas Scheußliches gesehen? Gut, das Internet hält viele Überraschungen bereit – aber auf der Studiobühne im Musischen Zentrum der Ruhr-Universität Bochum? Viele studentische Stücke, die hier aufgeführt werden, sprechen ernste, bisweilen, kaum besprochene Themen an. Aber Silberfischchen gebärende Frauen in bedrückenden Kerkern und sadistische Machtfantasien vor einer gewaltigen, verfaulten, madenbesetzten Vagina: Caroline Königs (Text und Regie) und Katharina Cygan (Bühnenbild und Regie)  brachten am 9. und 10. Juni zwei kleine Stücke mit besonders hohem Brechreizfaktor auf die Bühne.

Zwei verschiedene Stücke, unterschiedliche Besetzung, ganz anderes Bühnenbild, divergierende Formate der Darstellung. Bei „Haut I & II“ handelt es sich um zwei Stücke, die unabhängig voneinander aus Caroline Königs’ Feder geflossen sind. Gemeinsam haben sie zwei Dinge: Erstens sind beide, wie für Königs’ Texte (Prosa wie Drama) typisch, ziemlich kryptisch. Der Sinn einzelner Formulierungen, gar Szenen erschließt sich auf Anhieb nicht, und auch am Ende möchte man sich rätselnd am Kopf kratzen.

Zweitens sind sie, diesmal ganz und gar für Königs untypisch, nicht komisch. „Haut II“ hat seine absurden Momente und sogar einen Hauch von Slapstick. Aber wer furios durch den Popkulturmixer gedrehte Spektakel über schwule Tageslichtschreiber („Die homoerotischen Polyluces“, Premiere im Mai 2014)  oder oberflächliche Puppen und Antiobdachlosenpillen („Der obdachlose Otto und die Fashionistas“, Premiere im Mai 2015) erwartet hat, wurde enttäuscht.

Degeneriertes Geschleppe

Stattdessen werden drei schäbige, graue Gestalten (Sirka Elfert, Sina Geist, Camilla Szymanski) auf einem abgenutzten Bett (Bierkästen und olle Matratze) auf die Bühne gestellt. So schwerfällig sie sich umherschleppen, so träge, so desillusioniert ist ihre Sprache. Der überdimensioniert in den Hintergrund projizierte karge Kellerraum mit dem abgeblätterten Putz drückt die Stimmung noch mehr. Verloren wie kleine Maden wimmern und hadern die Gestalten. Verloren im Raum, verloren in der Welt. Einer Welt, in der jede ihr Päckchen zu tragen hat, seien es die Silberfische, die sie gebärt oder die unsichtbare Leiche, die sonst niemand sieht. Doch die Stiefel der Leiche, die sind real, und sie werden in einem von dramatischer Musik begleiteten Finale zerfetzt.

Damit steht das Finale von „Haut I“ in krassem Gegensatz zur drückenden Stimmung des Rests, dem ein paar emotionale Akzente gutgetan hätten. Leider kamen auch viele liebevoll-trostlose Details des Bühnenbilds und des Schauspiels beim Publikum nicht an; dafür war die Bühne nicht hoch genug, sodass einen wirklich guten Blick auf das Geschehen nur die erste Reihe hatte.

Krass ist, was im Kopf passiert, nicht auf der Bühne

Die Bühne wird schwarz. Es wird umgeräumt. Es bleiben nur zwei Stühle. Doch die sind erst einmal unwichtig. Auf der Leinwand besudeln Luftballons die weiße Wand mit schwarzem Eiter. Ein immer hektischer herumfuchtelnder, unnatürlich nervöser Stock hat sie platzen lassen. Ein Vorgriff auf die szenische Lesung, die nun folgt.

Paula (Caroline Königs selbst) und Max (Laron Janus) sind ein glückliches Ehepaar … nein, sind sie natürlich nicht. Schnell bröckelt die Fassade. Der nun folgende Dialog hat die Zutaten Eifersucht, Minderwertigkeitsgefühle und Hypochondrie, die einen Cocktail namens Wahnsinn ergeben. Doch sind es nicht nur die Worte. In Janus’ Gesicht, in seiner Stimme wechseln sich in einer sich Bahn gebrochener Machtwunsch und das Unvermögen, mit dieser Macht umzugehen, ab. Unzweifelhaft trug Laron Janus’ Schauspiel wesentlich dazu bei, dass dieses Stück so intensiv war.

Dabei war es ebenfalls eine gute Entscheidung der Regie, „Haut II“ als Lesung zu inszenieren, mit den Regieanweisungen vom Band. Das hob das Stück auf eine andere, abstraktere Ebene. Die Dinge auf der Bühne geschahen damit nicht wirklich, sondern im Kopf – was sie noch bedrohlicher machte.

Und dann kamen die Maden

Alles andere als abstrakt, nicht unbedingt notwendig für ein intensives Theater, aber dafür wohl für immer im Kopf der Zuschauer verankert, waren die Projektionen im Hintergrund der beiden Figuren. Träufelt erst noch – ganz plakativ – Blut auf ein Liebespaar, steigern sich die Projektionen bis zur abstoßenden Klimax. Fleischig, deformiert, voll schwarzem Eiter: eine Vagina. Riesengroß über der Bühne. Und dann kommen die Maden. Verschwinden im Inneren, kommen schwarz wieder heraus. Bohren sich ins Fleisch. „Macht dich das geil?!“, schreit währenddessen der Arzt (Julian Brock) das einander quälende Paar an.

An die Grenzen gegangen

Manche ZuschauerInnen verarbeiten ihren Ekel mit Humor, andere sind still. An diesem Abend ist man auf der Studiobühne den psychischen wie auch physischen Grenzen des Publikums so nahe gekommen wie schon lange nicht mehr. Es wäre nicht ganz passend ausgedrückt, dass es dem Publikum gutgetan hätte, aber dem milde gewordenen studentischen Theater tat es auf jeden Fall gut.

:Marek Firlej

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