Bild: Haben alles, was eine archetypische Rockband braucht plus eine Extraportion Düsternis: Toxic Rose aus Stockholm, Sleaze Fest in der Matrix: Eine Verbeugung vor den 80er Jahren Foto: mar

Sie tragen Stirnbänder, fingerlose Handschuhe, kneifenge Hosen aus Elathan und dank einer geschätzten halben Dose Haarspray weit ausladende Mähnen – was klingt wie eine klischeebeladene Szene auf einem Rockkonzert aus einem 80er-Jahre-Action-Film, ist 2016 Bochumer Realität. Am vergangenen Wochenende fand in der Matrix das Sleaze Fest statt, eine Huldigung an den schmierigen (engl. sleazy) Hard Rock und Metal der 80er Jahre.

Sechs Bands standen am Freitag auf der Bühne im Keller der ehemaligen Brauerei in Langendreer. Um 16:30 Uhr eröffneten Addiction das Fest, das mit dem Headliner Kissin’ Dynamite noch lange nicht zu Ende war: Die Aftershowfete, das Partymonium, sorgt erfahrungsgemäß schon für sich allein für einen vollen Rockpalast.

Haare, Glamour, Schmiere

Die verschiedenen Bezeichnungen für diese Spielart des Rock spiegeln deutlich wieder, worum es in der Subszene geht: Hair Metal, Glam Rock, Sleaze Metal – es ist weniger die Musik, die im Vordergrund steht. Stattdessen haben hier die Neonfarben, Fönfrisuren, Leder und Nieten in einer wilden Orgie mit Gitarren und Schlagzeug eine unheilige Brut gezeugt. Apropos Orgie: Die Texte lassen sich prägnant mit einem Titel der Parade-Haar-Rocker Mötley Crüe zusammenfassen: „Girls, Girls, Girls“.

Die Auftritte der Bands auf dem Sleaze Fest sind jedenfalls dicke Partys auf der Bühne. Denn das Posen, das Sich-in-Szene-Setzen gehört ebenfalls unbedingt dazu. Sex, Drugs and Rock’n’Roll auf der Bühne zu inszenieren, ist das Metier, das alle Bands des Abends beherrschen. Das geht auch ganz gut, denn anspruchsvoll ist die Musik nicht. Das will sie auch nicht. Einprägsame Riffs, groovende Rhythmen und Mitsingrefrains sollen vor allem eins: gute Laune machen.

Wie wild die Bands backstage wirklich feiern, lässt sich natürlich nur schwer sagen. Sehr sympathisch ist auf jeden Fall, dass sich die Jungs vom Headliner Kissin’ Dynamite nach ihrem fulminanten Auftritt unters Partymoniumvolk mischen, um mit ihren Fans zu tanzen, zu flirten, zu plaudern und Brüste zu signieren.

Ist das noch Rock’n’Roll oder nur Gepose?

Die Fans selbst jedenfalls sind, obwohl – oder eben gerade weil – sie wie ihre Idole gestylt sind, mehr Schein als Rocker-Sein. Der Autor dieser Zeilen hat auf einer Party mal einen Hair-Metal-Fan getroffen, der eine Partie Flunkyball abgelehnt hat, weil ihm dabei die Haare durcheinander kommen würden …

Das Retro-Rock-Phänomen beschränkt sich dabei nicht allein auf Deutschland, auch ist die stilistische Bandbreite nicht gerade eindimensional: Bulletrain, die zweite Band des Festivals, kommen aus Schweden, The Cruel Intentions haben sich erstmals in Oslo in die engen Hosen gezwängt. Chase the Ace aus London verzichten auf die schrille Attitüde und spielen klassischen Lederjacken-Hard-Rock. Toxic Rose verliehen dem Abend einen düsteren Touch, bevor die Schwaben Kissin’ Dynamite die Matrix mit dem Geist von – ganz einem ihrer Titel gerecht werdend – „Money, Sex and Power“ füllten. 

:Marek Firlej

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