Bild: Komplex, aber spannend: Der Philosophieprofessor Albert Newen eröffnete die Vortragsreihe zu unserem Selbst mit einem interessanten Abriss über dessen Entwicklung. , Auftakt der neuen Vortragsreihe „Das Bild von mir“ im Blue Square Foto: mb

Wie entsteht unser Selbstbild und welche Einflüsse formen es bereits in unseren ersten Lebensjahren? Einen Einblick in den aktuellen Erkenntnisstand der Forschung zum „Ich“ gab der Philosophieprofessor und Psychologe Albert Newen letzte Woche Dienstag im Blue Square.

„Wer bin ich?“, stellte Newen gleich die essenzielle Frage an den Anfang seines Vortrags. Nach einem Abriss über historisch bedeutsame philosophische Antworten darauf legte der Professor als grundlegende Definition fest: Der Mensch sei ein Naturwesen mit der außergewöhnlichen Fähigkeit des Selbstbewusstseins. Damit könne er im Gegensatz zu vielen anderen Lebewesen seine eigenen mentalen und körperlichen Zustände als sich selbst zugehörig erkennen.

Allein diese Eigenschaft erlaube es uns, überhaupt ein Selbstbild zu entwickeln – denn wie soll der Inhalt dessen, was ich über mich denke, entstehen, wenn ich nicht selbstbezogen über mich reflektieren kann? Dass wir aber nur mit einem rudimentären Bewusstsein über unsere Person geboren werden und dieses im Laufe seiner Herausbildung vielen potenziellen Störeinflüssen ausgesetzt ist, machte der Direktor des Center for Mind, Brain and Cognitive Evolution im Laufe des Abends deutlich.

Entwicklung mittels Wechselwirkung

Das körperliche Selbstbild, welches wir von Geburt an erweitern, ergänzt sich in den späteren Lebensjahren durch das Bewusstsein, dass andere Menschen unsere Sicht der Welt teilen können – oder gänzlich andere Überzeugungen haben als wir.

Mit circa vier Jahren haben sich diese Komponenten voll herausgebildet: Wir wissen, dass wir aus unserem Körper eine individuelle Perspektive haben und dass unsere Handlungen etwas bewirken können. Wir interagieren fleißig mit unserer sozialen Umgebung und sind in den Folgejahren umso empfänglicher für deren Einflüsse.

Unsere einst naive Körperwahrnehmung könnte etwa in der Pubertät von sozial konstruierten Schönheitsidealen verzerrt werden, sodass wir uns trotz angemessener Proportionen als fettleibig empfinden. In Extremfällen führt eine solche Körperbildstörung in die Magersucht, der psychischen Erkrankung mit der höchsten Todesrate (15 Prozent).

Selbstbild ist nicht gleich Selbstbild

Gesellschaftliche Einflüsse formten nicht nur die Art, wie wir über uns denken, sondern auch wie sehr in dieses Denken die Person anderer mit einfließt, bemerkte Newen. Die Kultur sei ausschlaggebend: Während in westlichen Ländern ein stark unabhängiges Selbst als Ideal gelte, finde sich vor allem in Asien ein vorwiegend dependentes. Letzteres Selbstbild sei stark von den Mitmenschen geprägt, was sich nicht nur durch sprachliche Abweichungen erklären lasse, sondern sich auch in der Gehirnaktivität widerspiegele, wie die Hirnscans in Newens Vortrag illustrierten.

Daher lautete sein Fazit am Ende des Vortrags wie ein grundlegendes Postulat der Psychologie: Das Selbstbild entstehe graduell in einem sozialen Kontext und setze sich aus vielen verschiedenen Faktoren – wie Gene, Erfahrungen und Umwelteinflüsse – zusammen. Damit gehört es gemeinsam mit anderen psychologischen Konstrukten zu den wissenschaftlich eher schwer erforschbaren Phänomenen.

:Melinda Baranyai

Zeit:punkte

3. November: „Kognitive und neuronale Grundlagen des autobiografischen Gedächtnisses“

10. November: „Das doppelte Ich – kulturhistorische Visionen des Klons“

24. November: „Wirken durch Worte – Sprache in zwischenmenschlichen Beziehungen“

8. Dezember: „Selbstbild und Neuropsychologie bei Anorektikerinnen“

19. Januar: „Das dokumentierte Bild von mir“

26. Januar: „Allgegenwärtige Selfies: Leben wir im Zeitalter des Selbstbildes?“

2. Februar: „Körperbild und Rückenschmerz – Ein- und Aussichten einer wechselseitigen Beziehung“

0 comments

You must be logged in to post a comment.