Bild: Innovativ und interdisziplinär: Petra Schweizer-Ries, Professorin für Nachhaltigkeitswissenschaft mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt an der Hochschule Bochum., Pionierprojekt an der Hochschule Bochum Foto: Presseabteilung der Universität des Saarlandes

Während an der Ruhr-Uni kürzlich der Beschluss zur Einstellung eines bundesweit einmaligen und als interkulturelle Brücke im Rahmen des Globalisierungsprozesses sehr wertvollen Studiengangs wie der Sprachlehrforschung gefasst wurde (die :bsz berichtete), geht die Hochschule Bochum (BO) den umgekehrten Weg: Ab dem Wintersemester 2013/14 soll dort der im Zuge der Globalisierung neue Perspektiven eröffnende Studiengang Nachhaltige Entwicklung eingerichtet werden. Die :bsz hat Prof. Dr. Petra Schweizer-Ries interviewt, die einen Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaft mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt an der BO inne hat, und lotet für Euch das Potential des neuen Bildungsgangs aus.

:bsz Ist der Studiengang zulassungsbeschränkt und wie war die bisherige Resonanz auf das neue Bildungsangebot?
Petra Schweizer-Ries: Ab dem Wintersemester diesen Jahres beginnt der Bachelor Nachhaltige Entwicklung; wir haben einen NC darauf und lassen 60 Studierende zu; momentan interessieren sich sehr viele dafür. Wir verfolgen dort den Ansatz des aufgabenorientierten Lernens und werden viel in Kleingruppen gemeinsam an realen Nachhaltigkeitsprojekten arbeiten.

Ist die spezifische Ausrichtung des Studiengangs ein landes- oder gar bundesweit einmaliges ‚Pionierprojekt‘ oder gibt es andernorts vergleichbare Studiengänge?
Es ist ein Pionierprojekt, weil bisher die Nachhaltigkeitswissenschaft eher auf Masterniveau gelehrt wird. Wir lehren in einem aufgabenorientierten Stil mit dem Grundanliegen des gemeinsamen und eigenständigen Lernens. Es wird drei Vertiefungen geben: Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und „Infrastrukturplanung & Flächenmanagement“. Im Nachhaltigkeitsbereich werden die Studierenden sich die Nachhaltigkeitswissenschaft erarbeiten und Wissen in den Bereichen ‚Systemwissen‘, ‚Veränderungswissen‘ und ,Zielwissen‘ erlangen. Inhaltlich werden wir uns mit Themen wie Energienachhaltigkeit, Mobilitätsmanagement und Klimaschutz beschäftigen. Dabei arbeiten wir auch mit Partnerinnen und Partnern außerhalb der Hochschule zusammen, in denen sich zukünftige Arbeitsfelder der Studienabgänger und -abgängerinnen entwickeln.

Wie würden Sie die zentralen Ziele des Bildungsgangs umreißen?
Es geht darum, ein Verständnis von den komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu erlangen und darin handlungsfähig zu werden, um den Prozess zu unterstützen, die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Dafür gibt es viele Ansätze, welche die Studierenden erlernen sollen. Wir wollen aber auch, dass sie in die Lage versetzt werden, Verantwortung zu übernehmen und eigene, neue Ansätze zu entwickeln.

Inwiefern unterscheidet sich die Nachhaltigkeitswissenschaft mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung von einer Nachhaltigkeitswissenschaft mit ökologischem Fokus?
Ja, diese Unterscheidung wird gemacht – ich bin davon aber nicht überzeugt. Ich fühle mich als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin und natürlich steht bei mir neben der gerechten Verteilung der Ressourcen und dem Erhalt bzw. der Wiederherstellung des sozialen Friedens der Erhalt der Ressourcen im Zentrum. Dieser ist die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens und der Weiterentwicklung. Kennen Sie das Prinzip des Sumak Kawsay? Es ist das staatstragende Prinzip von Ecuador und baut auf dem Erhalt der Ressourcen und dem Aufbau eines guten Lebens auf. Ökologie und Soziales stehen dabei im Zentrum. Die Entwicklung sauberer Technologien, guter Wirtschaftsformen und angemessener politischer Umsetzungen sind Werkzeuge, die uns dabei helfen sollen, die Ressourcen friedlich miteinander zu nutzen, so dass es uns allen gut geht. Wichtig ist dabei die menschliche Entwicklung und nicht das Wirtschaftswachstum; in den neuesten Ansätzen wird dies voneinander entkoppelt gesehen.

Welchen Stellenwert hat die Entwicklung ethischer Leitlinien eines verantwortlichen weltwirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Handelns im Rahmen der Nachhaltigkeitswissenschaft und des Bochumer Trans­LABs?
Ethische Leitlinien sind dabei ganz zentral. Wir lehnen uns dabei an den Weltethos an (www.weltethos.org). Im TransLAB geht es beispielsweise um das Vermitteln dieser Werte durch das Leben an dieser unserer BO. Das soll aber kein Gesprächsclub werden, sondern eine Gruppe von Aktiven, die unsere Hochschule in verschiedenen Bereichen voranbringen: Energieeffizienz, Beschaffungs- und Entsorgungswesen, Außen- und Innenraumgestaltung, Miteinander an der Hochschule etc.

Welche Perspektiven sehen Sie, um seitens des Bochumer TransLABs entscheidende Akzente zu setzen, um den Globalisierungsprozess nachhaltig zu gestalten und hierbei sowohl den Belangen von Mensch und Natur angemessen Rechnung zu tragen? Gibt es Beispiele für lokale Projekte, dies konkret umzusetzen?
Ja, wir entwickeln gerade Projekte neben den schon bestehenden („Elektromobilität nachhaltig gestalten: das Prinzip Cradle-to-Cradle“ und „akzeptable Geothermie-Nutzung“) – zum Beispiel den Nachhaltigkeitspfad. Dort wollen wir mit Architekten und Umwelt- bzw. GesundheitspsychologInnen die Umgestaltung unseres Außenraums anregen. Das ist aber ,nur‘ ein Aktionsprojekt, um gemeinsam zu entwickeln, wie eine nachhaltige Entwicklung an unserer Hochschule aussehen könnte. Ansonsten gibt es viele kleinere Projekte im Rahmen meiner Ausbildung der Nachhaltigkeitslehre – einige davon konnten Sie in der Magistrale der BO am Bochumer Nachhaltigkeitstag (19. Juni 2013, d. Red.) sehen…

Könnten Sie ein besonders herausragendes Projekt näher beschreiben?
Es gibt viele Projekte der Studierenden, die mich faszinieren. Zum Beispiel hat ein kleines Team einen Film erstellt zum Thema Fairer Handel. Sie haben dabei aufgezeigt, welchen Unterschied ein fair gehandeltes Produkt erzeugt und wie einfach es ist, sich für das Produkt mit dem Siegel zu entscheiden. Andere haben für die Stadt Bottrop einen Leitfaden entwickelt, wie die Smart-City-Idee mit einer überarbeiteten Version des Transition-Town-Modells zu mehr Energienachhaltigkeit führen kann. Wieder andere haben ein Konzept für nachhaltige Elektromobilität ausgearbeitet.  

Wie würden Sie eine mögliche nachhaltige Wirkung solcher Projekte skizzieren?
Meiner Erfahrung aus anderen Hochschulen nach entwickeln sich durch diese Aktionen ‚Nachhaltigkeitsatmosphären‘, die dann ganz viele weitere Nachhaltigkeitsaktivitäten und Nachhaltigkeitsdenken folgen lassen. Das ist die Grundidee. Wir tauschen uns dabei international mit anderen Hochschulen aus, die sich auf einen ähnlichen Weg begeben. Zudem planen wir gerade ein Forschungsprojekt zur forschenden Begleitung dieser interkulturellen und interdisziplinären Kommunikations- und Kooperationsprozesse.
 

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