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Vielen (Ex-)Grünen war der 1945 geborene (europa-)politische Rebell schon immer eine suspekte Leitfigur. Die Genesis seiner mutmaßlich „pränatalen Überzeugung, Europa anders gestalten zu können“, verklärt Cohn-Bendit (im Weiteren CB) ohne spürbare selbstironische Distanz wie einen Heldenmythos, als er vor laufender 3sat-Kamera auf der Messe behauptet, er sei „gezeugt worden bei der ersten biologischen Möglichkeit nach der Landung der Alliierten in der Normandie.“ Das am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse ausschließlich aus AutorInnen, JournalistInnen sowie verlegerischem Fachpublikum bestehende Auditorium nimmt die Präsentation seines bereits in mehrere Sprachen übersetzten Europa-Manifests (CB: „in Griechenland wird es umsonst verteilt“) jedenfalls mit spürbarer Zurückhaltung auf. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich – fordert der Deutsch-Franzose doch ausgerechnet in der tiefsten Euro-Krise die Gründung der (O-Ton) „Vereinten Nationen – Entschuldigung: Vereinigten Staaten von Europa.“ Und als es um die politische Mitverantwortung der Geberländer an der sparzwangbedingten sozialen Schieflage in Griechenland geht, versteigt sich CB gar zu der relativistischen These, im Vergleich zu den mit 14 Prozent ins Parlament eingezogenen griechischen Faschisten sei „die NPD eine neoliberale Partei“ – was beim Publikum für größtes Befremden sorgt. 

Europapolitischer Frontalangriff

Ohne ein föderales europäisches Staatsgebilde werde Europa, so CB, „mit der Krise untergehen“, die „national nicht mehr zu meistern“ sei. Das in seinem Manifest gebetsmühlenartig beschworene nationalstaatliche Untergangsszenario entpuppt sich jedoch als demokratisches Paradoxon: „Unsere Souveränität wird immer weiter zurückgedrängt von den Märkten. Um sie zurückzugewinnen, brauchen wir Europa“, glaubt CB. Um staatliche Souveränitätsrechte umfassend an die europäische Ebene abzutreten, will der europoltische Chefstratege jedoch nicht einmal ein Referendum, sondern fordert in seinem Manifest lediglich dazu auf, jene Parteien zu wählen, die für einen solchen „Quantensprung in Richtung eines echten vereinigten und föderalen Europa“ einstehen. Hierbei bedient er sich einer bellizistischen Sprache, die einerseits CBs Straßenkampf-Wurzeln durchschimmern lässt und hinter der sich andererseits die Konturen jener groteskerweise jüngst mit dem Friedensnobelpreis geadelten ‚Festung Europa’ abzeichnen, die sich durch paramilitärische Einheiten (Frontex) von transkontinentalen Flüchtlingsströmen abschirmt: „Nur ein Frontalangriff kann uns noch retten.“ Auch wenn hiermit ein konsequentes Einstehen für die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“ gemeint ist, stellt CB auch die Forderung nach einer 350.000-köpfigen europäischen Armee auf, welche die derzeit rund 1,5 Millionen SoldatInnen der Nationalstaaten ersetzen solle. 

Schwarz oder Weiß

CBs Argumentation ist geprägt von einem hoch emotionalisierten Schwarz-Weiß-Denken und leichtfertigen Kurzschlüssen. So sei eine Euro-Rettung schlichtweg „unvereinbar mit dem Fortbestehen der alten Nationalstaaten“ – entweder müsse es „eine föderale Staatsgründung“ geben „oder die europäische Währung wird verschwinden.“ Eine „Zwischenlösung“ könne es nicht geben. Und mehr noch – beinahe demagogisch wird dem Adressaten des Manifests suggeriert: „Du musst verstehen, dass das Auseinanderfallen der Eurozone auch das Todesurteil für die Europäische Union sein wird. (…) Wenn der Euro fällt, fällt auch die Union.“

Eurozentrische Großmachtsphantasien

Eine weitere Befürchtung, die CBs Weltbild erschüttert, ist die Sorge, dass angesichts einer unumkehrbaren wirtschaftlichen Globalisierung in 25 Jahren „kein einziges europäisches Land mehr zu den Mächten zählen wird, die das Weltgeschehen bestimmen“ – sprich zur „G8“ gehören – und das, obwohl ein „vereinigtes Europa der mächtigste und wohlhabendste Kontinent der Welt“ sei, „mächtiger als alle neuen Imperien zusammen.“ An die Stelle staatlichen Hegemoniedenkens tritt bei CB ein megalomanes kontinentales Vormachtsstreben, an dem nicht zuletzt schon das Römische Reich zerbrochen ist. Statt bei einem zweifellos notwendigen supranationalen Neuanfang endlich das Wohl jedes einzelnen Menschen zum Ausgangspunkt globalen Denkens und Handelns zu machen, werden eurozentrische Großmachtsphantasien gesponnen und das Horrorszenario entfaltet, dass der Kontinent ohne die „Vereinigten Staaten von Europa“ auseinanderzubrechen und „der Einfluss unserer zweitausendjährigen Kultur einfach weggefegt zu werden“ drohe. Vielleicht hätte Cohn-Bendit doch besser Prophet werden sollen statt Politiker…  

Daniel Cohn-Bendit
und Guy Verhofstadt:
FÜR EUROPA! Ein Manifest.
Hanser: München 2012.
8,00 Euro

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