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Der Rest des Gedichtbandes präsentiert sich, wenn auch nicht ganz so extrem, so dennoch kritisch gegenüber der Gesellschaft und dem menschlichen Individuum als solchem. Es geht vor allem um die dunkle Seite des Zusammenlebens und menschlicher Gefühle. Am 24. Oktober wird der vielseitige Künstler im KulturCafé der RUB live in Worte fassen, was schwer in Worte zu fassen ist.

Es ist allein schon schwer festzulegen, um was für eine Textgattung es sich bei den Werken in „Zwischengeist“ handelt. Der Autor Oswald Henke, der einige Bekanntheit vor allem als Musiker bei der Band Goethes Erben erlangt hat, schreibt ohne Rücksicht auf die Form, „ohne Punkt und Komma“, wie er im Vorwort des Bandes erklärt. „Für mich ist der Inhalt und der Ausdruck wichtig“, sagt er im Interview mit der Literaturplattform literatopia.de. Oft hat man beim Lesen den Eindruck, kein Gedicht, sondern einen Liedtext zu lesen, manchmal auch einen durch Zeilenumbrüche abgehackten Gedankenstrom.

„Normalität erstickt die Kreativität“

Tatsächlich sind einige der Gedichte vertont worden, und zwar von Henkes eigenen Musikprojekten Henke und fetisch:mensch. Womöglich werden es in Zukunft auch noch mehr davon in die Stücke beider Bands schaffen,  andere wiederum bleiben Gedichte. Diese Praxis, keinen Unterschied zu machen zwischen Gedicht und Liedtext, hat bei Oswald Henke Tradition. Das 2003 erschienene Buch „FSK 18 – Tendenziell menschenverachtend“ etwa, das in einer zweiten Auflage wie „Zwischengeist“ im Duisburger Culex-Verlag erschienen ist, enthält alle Texte, die der Künstler mit seiner Band Goethes Erben veröffentlicht hat. Der überhebliche Name der 1989 gegründeten Gruppe (schließlich wusste der „deutsche Dichterfürst“ in seinen Gedichten Form und Inhalt zu beherrschen) deutet es schon an: Von Anfang an waren die von Henke geschriebenen Texte auch als Gedichte lesbar. So ist seine Aufgabe als Vokalist bei Goethes Erben auch nicht das Singen gewesen, sondern wird von ihm als Sprechgesang bezeichnet.

„Wer mich liebt verletzt sich selbst“

Der Bruch mit der Form ist durchaus beabsichtigt. So hat Henke einen „Prolog als Nachtrag auf den Sündenfall“ ans Ende des Buches gesetzt. Warum? Weil er’s kann. Die Diskussion um die Wichtigkeit von Form bei literarischen Werken und den Vergleich mit Goethe scheint Henke schon oft geführt zu haben, denn im Vorwort verteidigt er sein Buch unaufgefordert: „Dieses Buch ist nicht für Germanistiker geschrieben worden.“ Als zynischen Beitrag für die vom Autor anscheinend nicht gerade geschätzten PhilologInnen findet sich im Anhang ein kleines Lexikon, das Henkes „Wortneuschöpfungen“ wie „Tulpenblütensturm“ etymologisch bis auf seine althochdeutschen Wurzeln erläutert.
Die Gedichte entstehen spontan, verrät er im oben genannten Interview, und so sollen sie auch stehen bleiben, um Momentaufnahmen von Gefühlen und Gedanken zu sein. Diese Gedanken sind düster, die Bilder, die sie illustrieren, oft drastisch. Effekte werden nicht durch Form und Struktur erzeugt, sondern durch Wörter. Oft wird als Bild für psychischen Schmerz die Gewalt am eigenen Körper herangezogen. (Ein Kapiteltitel: „Seelischer Autokannibalismus“.) Es fließt Blut in den Gedichten, es wird Gewalt angetan. Peinigerin ist oft genug die Liebe. Doch schaut der Dichter nicht bloß in sich hinein, sondern kommentiert auch die ihn umgebende Welt und will damit zum Nachdenken anregen.

„Sieh, mein Sohn war ein schreiender Soldat“

„Zwischengeist“ sieht schon auf den ersten Blick gut aus. Der feste Einband macht Eindruck und vermittelt bereits vor dem Aufschlagen, etwas Edles in der Hand zu halten. Dieser Eindruck verstärkt sich beim Aufschlagen. Jede einzelne Seite ist mit Fotos, Grafiken, Bildfragmenten geschmückt. Jedes Kapitel hat ein eigenes typografisches Thema: Die Kapitelüberschrift „Ethische Grenzgänger“ präsentiert sich in militärischer Stencil-Schrift; die Aufmachung des Kapitels „Abgeschlossen“ erinnert an die mit Blut verschmierten Wände aus Kubricks „Shining“. Hinzu kommt ein schwarzer Hintergrund mit unscharfen Blicken durch ein Schlüsselloch. Bei einer Lesung geht die grafische Komponente des Bandes natürlich verloren. Dafür ist Henke aber ein geübter Schauspieler und Vorleser, der es versteht, die Stimmung seiner Texte mit seiner Stimme zu transportieren.
Sich auf solch eine Lesung, wie sie an der RUB selten vorkommt, einlassen kann man sich am 24. Oktober um 19:30 Uhr im KulturCafé.

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