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„Wenn man in die Psychiatrie eingeliefert wurde, darf man bloß nicht das Maul aufmachen“, sagt Stefan*, ein Psychiatrie-Betroffener. Viele Menschen, die in geschlossenen Psychiatrien untergebracht waren, fühlen sich hilflos. Sie werden der Willkür der Ärzt*innen und Pfleger*innen ausgesetzt oder werden weggesperrt und einfach alleine gelassen. Deswegen ist es für viele Betroffene das erste und wichtigste Ziel, nicht wieder eingewiesen zu werden. „Wenn man eine Psychiatrie-Vergangenheit hat, wird fast jeder Vorwand vom Arzt genommen, Zwangsmaßnahmen einzuleiten. Plötzlich ist man wieder in einer geschlossenen Einrichtung. Eigentlich hatte man aber nur Fieber und eine Paracetamol-Tablette hätte auch gereicht“, sagt Stefan.

Stress machen

Das Hauptthema des Selbsthilfetages war Stress, in all seinen Facetten. Zwei Referentinnen berichten, wie man am Besten mit Stresssituationen umgehen sollte, jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. Ina Weber steht ganz für das Motto „Stress machen“ und begegnet dem inneren Druck mit Kraft und Lebensfreude. Bärbel Lorenz hingegen versucht, negativen Stress mit Entspannung abzubauen. „Selbstgespräche sind eine gute Möglichkeit, den Stress loszuwerden. Einfach mal in die Welt hinausschreien, was einem gerade nicht passt“, sagt Ina Weber. „Aber damit nicht gleich jemand einen Arzt ruft, nehmt eurer Handy und brüllt dort hinein, ohne zu wählen“, ergänzt sie. In Krisensituationen können auch Entspannungsübungen eine große Hilfe sein. „Die einfachste Übung ist das bewusste Atmen“, sagt Bärbel Lorenz. „Sehr gut ist es auch, in den Wald zu gehen und die frische Luft zu genießen. Wenn ihr keinen Wald in der Nähe habt, stellt ihn euch einfach vor.“ Über das Thema Stress diskutierten die gut 50 Teilnehmer*innen des Selbsthilfetages sehr kontrovers. Von eigenen Entspannungstechniken bis hin zur Kritik des sich Verlierens in Fantasiewelten. In sechs unterschiedlichen Workshops erlernten die Teilnehmer*innen gemeinsam Strategien zur Stressbewältigung. Von Atemübungen über Grenzen setzen bis zur Baummeditaion war für alle etwas dabei.

Nicht in Ordnung

Vielen Psychiatrie-Betroffenen wird gesagt, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung sei. Jedoch stimmt mit dem System Psychiatrie wohl selbst einiges nicht. Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in Psychiatrien erleben müssen, sterben durchschnittlich 25 Jahre früher, sie werden also im Schnitt nicht einmal 60 Jahre alt. Damit unterschreiten sie die Lebenserwartung von Menschen in den ärmsten Ländern der Welt. Etwa 3.000 Menschen sterben jedes Jahr in geschlossenen Einrichtungen. Außerdem werden jedes Jahr circa 200.000 Menschen zwangsuntergebracht oder zwangsbehandelt, die Zahlen steigen kontinuierlich an. „Mir wurden 26 Jahre meines Lebens geraubt. Seit ich ein junger Mann war, wurde ich wegen eines Selbstmordversuchs mit Psychopharmaka behandelt. Erst mit 53 Jahren habe ich alle Medikamente abgesetzt. Nun kann ich endlich wieder wirklich leben“, sagt Stefan.

Bunter Haufen

Auf dem Selbsthilfetag tummelten sich Menschen jeden Alters und Geschlechts, selbst ein Landtagsabgeordneter der Piraten hielt ein Grußwort. Wirklich vorbereitet hatte er sich jedoch nicht. Dem ersten Satz des Wikipedia-Eintrags folgend bezeichnete er den Verband der Psychiatrie-Erfahrenen als Lobbygruppe „wie jede andere auch“. Viele fühlten sich durch diese Äußerung beleidigt, doch der bunte Haufen war viel zu nett, diese Beleidigung zu ahnden und spendete dem Abgeordneten trotzdem freundlichen Applaus. Direkt danach verschwand er auch schon wieder. Die Psychiatrie-Erfahrenen werden sich bald wieder in Bochum treffen, schließlich befinden sich ihr Landesverband NRW und sogar der Bundesverband in der Ruhrgebietsstadt.

Weitere Infos unter: bpe-online.de

*Name von der Redaktion geändert

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