Mit der Umstellung der Studiengänge auf die Abschlüsse Bachelor und Master hat für die Studierenden die Jagd auf die Credit Points (CPs) begonnen. Arbeitsvolumen für Hausarbeiten, Anwesenheit, das Halten von Referaten und abgelegte Prüfungen, so das Versprechen, sollen damit europaweit vergleichbar werden – Studierende sollen flexibel in ganz Europa studieren können, ohne an Kreditierungsgrenzen zu stoßen.
Zeit sind Punkte
Dass dies bereits an der Grundvoraussetzung der Kunstwährung ECTS scheitert, zeigt Kühl bereits anhand der differierenden Arbeitsstunden: „Schließlich ist es nur schwer zu erklären, weswegen ein Studierender für den Erwerb eines Leistungspunktes in Deutschland, Rumänien oder auch der Schweiz 30 Stunden benötigt, in Portugal und Dänemark 28 Stunden, […] und in Österreich, Italien oder Spanien 25 Stunden.“ Dabei fängt die Vergleichbarkeit nicht erst in der länderübergreifenden Hochschullandschaft an, sondern beginnt bereits im Wahlbereich und Grenzverkehr einiger Studiengänge, bei denen fakultätsübergreifend Seminare belegt werden können und je nach Studiengang unterschiedlich kreditiert werden. Ein englisches Intermedialitätsseminar ist für AnglistInnen zwei Credit Points wert, für KomparatistInnen jedoch zweieinhalb. Moment: gleiche Leistung, mehr Punkte? Um der Bolognia-Reform gerecht zu werden, müssen Veranstaltungen, die für mehrere Studiengänge geöffnet sind, gleichzeitig mehrfach konzeptioniert werden und an die Leistungsanforderungen der Studierenden angeglichen werden. Ein Rattenschwanz an Organisation, der sich mit Blick über den universitätsinternen Tellerrand hinaus ins Unendliche potenziert. Auch zu einer Kontrollfunktion zur Sicherstellung einer Vergleichbarkeit von Leistungen in diversen Veranstaltungsformen und der Studienorganisation mit ECTS nimmt Kühl kritisch Stellung: „Mit der Einrichtung von universitätsweiten Qualitätsmanagementsystemen, eigenen Prorektoraten und speziellen Abteilungen für Qualitätsentwicklung sah man sich aber schnell mit dem bekannten Problem konfrontiert, dass sich der eigentliche universitäre Kernprozess der Wissensvermittlung in den Seminaren, Vorlesungen und Übungen nur schwer durch die in Unternehmen erprobten Instrumente der Qualitätssicherung erfassen lässt.“
Löse das Studien-Sudoku
Die Kernthese Kühls, die er in seiner nicht ganz so polemisch ausgefallenen Streitschrift vertritt, ist die Komplexitätssteigerung der Studiengänge durch die Einführung von ECTS und die Durchmodularisierung, die sich entgegen der Bologna Maßgabe eines vereinfachten und flexibleren Studierens entwickelt haben. Kühl nennt diese Komplexitätssteigerung, die einen erhöhten Verwaltungsaufwand der Prüfungsämter und Organisationsaufwand der StudiengangkoordinatorInnen bedeutet, den Sudoku-Effekt. Die Modularisierung führe, so Kühl, nicht zu einer Steigerung der Wahlmöglichkeiten der Studierenden, sondern im Gegenteil zu deren Verringerung, da die Module immer kleiner und spezifischer würden und Lehrstühle an ihre personellen Grenzen stießen. Um genau der Lösungsvorgabe der StudiengangplanerInnen für das Studien-Sudoku zu folgen und das Studium mit seinen 180 im Bachelor oder 120 CPs im Master zu meistern, drohe die Verschulung der Studiengänge, da jeder Schritt vorgegeben und eben nicht frei wählbar sei.
Stefan Kühls Auseinandersetzung mit der Bologna-Reform, weniger eine Streitschrift oder gar ernstzunehmender Angriff, gibt zwar einen guten populärwissenschaftlichen Überblick über die Problematik der Einführung von ECTS und sensibilisiert für die hohen Anforderungen an die Studiengangplanung, kann aber außer des Titels keinen bleibenden und Debatten anstoßenden Eindruck hinterlassen.
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