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Die Götter des Kritikerhimmels kommen herunter und resümieren. Auf Redaktionskonferenzen wird gestritten, welcheR KünstlerIn das größte Werk hervorgebracht hat. Hitzig fliegen Namen und Meinungen durch den Raum. So kann man sich das Prozedere vorstellen. Nehmen wir einmal die Musikwelt als Beispiel für das, was auch für Literatur und Filmkunst gelten mag.
Die mächtigsten Institutionen für strenge Bewertungen heißen je nach Sprachraum und Härtegrad unterschiedlich. Im Englischen sind das unter anderem das US-amerikanische Rolling Stone Magazine, der britische New Musical Express (kurz NME) und die Website Pitchfork.com. Im Teutonenlande haben die Magazine Visions, Spex sowie die Website laut.de wohl am meisten Diskurshoheit. Alle sechs genannten Medien haben im Dezember und Januar eine Top 50 der besten Alben von 2011 aufgestellt. Vergleicht man die Listen, fällt auf, dass die vordersten Plätze durchgehend an folgende Platten gingen: PJ Harvey – „Let England Shake“, M83 – „Hurry Up, We’re Dreaming“ sowie Bon Iver – „Bon Iver“.

Der Sound der Studi-WGs

Dies sind hervorragende Musikalben. Was auffällt ist jedoch, dass diese Acts alle ziemlich ähnlich klingen. Es handelt sich um verträumten Indie-Rock mit Anleihen aus dem Folk und subtilen Elektrosounds. Der Gesang ist sanft, feminin und melodiös. Die Gitarren sind nicht zu hart. Der Rhythmus eignet sich gut zum Tanzen.
Die KritikerInnen sind anscheinend der Meinung, dass diese Art von Musik den Nerv der Zeit trifft. In den vorherigen Jahren haben artgleiche Interpreten wie Arcade Fire und Portishead abgeräumt. Und hier sind wir auch beim Dilemma. Die Wege sind ausgelatscht. Keine Überraschungen. Die SiegerInnen stehen schon vorher fest. Die Musik, die aufs Podium gelangt, wird halt von der gebildeten, urbanen, weißen Mittelklasse gestellt. Keines der genannten Medien würde heutzutage ein Album aus dem Hip-Hop, Heavy Metal, Reggae oder der elektronischen Tanzmusik auf Platz 1 wählen. Zwar tauchen diese Genres hier und da mal in den Top 50 auf, aber man merkt, dass das nur aus Verlegenheit geschieht.
Nun muss man die Frage der Subjektivität stellen. Gerade im Pop bestimmen weniger objektive Kriterien wie die technische Finesse oder die künstlerische Innovation eine Rolle bei der Qualitätsbestimmung. Elvis, Bob Dylan und Nirvana haben im formal musikwissenschaftlichen Sinne ziemlich simple Musik gemacht. Stattdessen fragt man sich, ob die Musik „den Zeigeist trifft“, „Sehnsucht verkörpert“ oder „intensiv ist“. Das ist schwammig. Zu Recht! JedeR kann selbst entscheiden, was er oder sie mag. Pop ist der große demokratische Gleichmacher. Aber was berechtigt irgendwelche Magazine, zu bestimmen, was im Jahr 2011 gehört wurde? Und dann sogar in einer Nummernhierarchie. MusikkennerInnen weinen beim Hören der CDs hundert Tränen für den ersten Platz und noch eine für Platz 50?

Kunst ist doch kein Toaster

Es gibt einfach kein(e) beste CD, besten Film oder bestes Buch für alle. Diese kanonisierende Vorstellung von Kultur ist engstirnig, langweilig und intolerant. Neue Wege werden so nie beschritten, einsame Orchideengewächse nie beachtet. Von oben herab würde das beste Produkt bestimmt werden, hielten sich alle daran.
Möchte der Autor dieser Zeilen die Instanz des „Best of the Year“ nun komplett abschaffen? Nein. Es spricht nichts dagegen, Revue passieren zu lassen. Beim Lesen findet man Empfehlungen, die man selber vorher gar nicht kannte. Man kann beim Pilsbier in der Goldkante leidenschaftlich über „das Beste“ streiten. Das ist großartig. Problematisch ist der Anspruch, mit dem solche Setzungen daherkommen. Wie wäre es, wenn einzelne RedakteurInnen ihre persönlichen Empfehlungen abgeben? Der Metalhead entscheidet anders als die SoulanhängerIn. Vielleicht kann man bestimmte Aspekte auszeichnen? In der Visions gab es mal die Kategorie „Alte Helden“, in der lohnenswerte Platten von etablierten Bands vorgestellt wurden. Vor allem aber: Bitte, bitte, bitte ,lasst diese Nummern weg.

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