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Sieben Jahre lang konnten die ZuschauerInnen jeden Mittwochabend verfolgen, wie die Diplom-Pädagogin eine Familie besucht und in Erziehungsfragen berät. Meist wurde sie von frustrierten Eltern gerufen, die von ihrem Nachwuchs völlig überfordert waren. In der Show wurden chaotische Streitszenen über Essensmanieren, zeitiges Zubettgehen sowie gar verbale und körperliche Gewalt gezeigt. Vor laufender Kamera wurde gezankt, geschrien und geweint bis Saalfrank eingriff. Allerdings erwies sich die Nanny gegenüber den geplagten Eltern oft als Anwältin eben der unartigen Kinder, indem sie die Fehler in der Erziehung aufzeigte.
Mit einem Marktanteil zwischen 24 und 17 Prozent über sieben Staffeln verdiente RTL kräftig an der Show. An öffentlicher Kritik mangelte es aber nicht: Der Deutsche Kinderschutzbund kritisierte, dass Kinder zu Spielfiguren gemacht würden und die Sendung suggeriere, komplexe Erziehungsprobleme innerhalb von wenigen Tagen lösen zu können. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten verhängte nach einer Episode ein Bußgeld in Höhe von 30.000 Euro wegen Verletzung der Menschenwürde. In der entsprechenden Sendung wurde ein fünfjähriges Mädchen mehrfach von ihrer Mutter geschlagen, ohne dass das anwesende Kamerateam eingegriffen hätte.
Trotz aller Mängel entdeckte ein Forschungsprojekt an der Universität Wien unter Leitung des Kommunikationswissenschaftlers Jürgen Grimm ein gewisses Potenzial in Saalfranks Show. So biete sie „Orientierungsleistungen in Erziehungsfragen auch und gerade für solche Bevölkerungsschichten, die der professionellen und amtlichen Erziehungsberatung normalerweise skeptisch gegenüberstehen.“ Nach den Erkenntnissen der Studie „senken die Sendungen die Barrieren zwischen Erziehungsprofis und beratungsbedürftigen Klienten.“

RTL will mehr Unterschicht

Katharina Saalfrank hat nun genug. Ihre erzieherischen Inhalte seien in diesem Jahr „massiv in den Hintergrund“ gedrängt worden, zitiert sie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dem die interne Korrespondenz zwischen Saalfrank und RTL vorliegt. „In meine Arbeit als Fachkraft in diesem Format wurde extrem… und teilweise sogar gegen pädagogische Interessen eingegriffen.“ Dies sei sicher der „Entwicklung des medialen Markts“ hin zu gescripteter Realität geschuldet.
Als Scripted Reality oder Pseudo-Dokus werden Formate bezeichnet, die frei erfunden sind, aber den Anschein geben, als zeigten sie echte Fälle. In Shows wie „Richterin Barbara Salesch“ und „Familien im Brennpunkt“ spielen LaiendarstellerInnen personifizierte Vorurteile wie faule Hartz-IV-Empfänger im Feinripp-Unterhemd und schwangere Teenies namens Jacqueline. Der Trend geht zu immer extremeren Figuren, die dramatisierte Konflikte durchleben, welche sie durch ihre eigenen Charakterschwächen verursacht haben.

Ergötzen am Elend anderer

Die Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher von der Universität Hamburg erklärt die Popularität dieser Shows folgendermaßen: „Viele Zuschauer sehen das gar nicht als Dokumentation, sondern sie sehen das als Comedy. Die zweite Dimension des Erfolgs ist die des sozialen Vergleichs. Viele Zuschauer grenzen sich von den gezeigten Familien ab und sagen: ‚Unser eigenes Familienleben ist deutlich normaler als das, was zu sehen ist. Unsere eigene soziale Situation ist deutlich besser als die der gezeigten Familien.“ Der Unterhaltungsfaktor besteht also darin, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sich besser zu fühlen. Bestärkt wird das Ganze von zynisch-bloßstellenden Kommentaren des Programms: „Nadine (16) sieht das erste Mal eine Turnhalle von innen.“
Die Ratgeberfunktion der Sendungen ist nur noch das Feigenblatt, hinter denen sich die Programmchefs verstecken. Das Dilemma ist jedoch, dass dieses Loch, in das „Die Super Nanny“ geprescht ist, tatsächlich existiert. Es fehlen breitenwirksame Aufklärungsangebote in Sachen Kindererziehung. In der öffentlichen Debatte taucht Pädagogik gerade mal dann auf, wenn die Boulevardpresse nach einem Skandal fragt, warum das Jugendamt nicht eingegriffen und weggenommen hat. An öffentlichen Geldern für Prävention fehlt es aber.

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