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Das weibliche Genital erfährt in der gängigen sprachlichen Bezeichnung bereits eine Beschneidung. Um das Jahr 1600 verwendeten Anatomen erstmals das lateinische Wort Vagina, das dem deutschen Wort Scheide entspricht. Fortlaufend etablierte sich dieser Begriff, der die komplette Beschaffenheit des weiblichen Genitals, die inneren und äußeren Schamlippen sowie die Klitoris, ausblendet und eine defizitäre Wahrnehmung fördert. „Was bleibt, ist eine Leerstelle, ein Loch und das Fehlen eines Phallus. Das weibliche Genital ist passiv, der Phallus jedoch immer aktiv“, sagt die Kulturwissenschaftlerin. Die negativ konnotierte gesellschaftliche Wahrnehmung, die Sigmund Freud später noch weiter lancierte, war jedoch nicht immer vorherrschend. In Mythen und Legenden ist die Vulva oftmals die Retterin der Welt. „In einem Mythos wird die Tochter von Demeter, der Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit, in die Unterwelt verschleppt. Baubo lindert Demeters Schmerz und rettet sie, indem sie vor ihr ihre Vulva entblößt“, sagt Sanyal.
In einer Legende über die Jungfrau Maria, die um ihren Sohn Jesus trauert, wird ebenfalls von dieser Geste erzählt. Eine Kröte zeigt sich Maria und entblößt ihre Vulva – Maria empfindet erstmals wieder Freude nach dem Tod ihres Sohnes. Vor allem das Erstarken des Monotheismus beförderte das Ausblenden des weiblichen Genitals. „Ein Schöpfer, ein göttlicher Vater, schafft den Menschen und seinen Sohn Jesus. Das Weibliche gerät aus dem Fokus“, sagt die Kulturwissenschaftlerin.

Die Wiederaneignung des weiblichen Genitals

In Sanyals Seminar an der RUB werden jedoch auch moderne und postmoderne Strategien zur Wiederaneignung des weiblichen Genitals in einen historischen Kontext gesetzt. Beispiel hierfür ist die Riot-Grrrl-Bewegung, die sexuelle Gewalt problematisierte und sich, entgegen einer nicht wahrgenommenen weiblichen Sexualität und einer stetigen Opferrolle, für die sinnlichen Freuden der Vulva aussprach.
Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Arbeiten von Annie Sprinkle. Die ehemalige Prostituierte und Pornodarstellerin wurde vor allem durch ihre Body-Performances bekannt. Dabei zeigte sie dem Publikum mit Hilfe eines Spekulums (ein medizinisches Instrument zum Spreizen der Vagina) und einer Taschenlampe ihren Gebärmutterhals: Ein Tabubruch zur Entmystifizierung der Vulva. „Die Post-Porn-Vertreterin Sprinkle sagte einst: Die Antwort auf einen schlechten Porno sind nicht keine Pornos, sondern bessere Pornos“, sagt Sanyal zum Bestreben der Post-Porn-Theorie. Mediale Abziehbilder und Stereotype sollen aufgebrochen werden. Nicht nur die weibliche Sexualität und die Vulva sollen im Post-Porn-Diskurs in den Blick genommen werden, sondern eine Inklusion aller möglichen Formen von Menschlichkeit und Sexualität.

Der Mythos Jungfernhäutchen

„Die abschließende Ausstellung wird unterschiedlichste mediale Umsetzungen zum Thema zeigen“, so Sanyal, „Eine Studentin wird eine Videoarbeit zur Intimchirurgie zeigen, eine andere eine Art Comedy-Performance.“ Auch der Jungfrauenkult wird thematisiert und der damit verbundene Mythos des Jungfernhäutchens. „Es ist ein Irrglaube, dass es sich dabei um eine Haut handelt. Es sind Schleimhautfältchen, die durchlässig sind“, sagt Sanyal. Der von den USA herüberschwappende Trend der Rekonstruktion des Jungfernhäutchens ist ein bedenklicher Eingriff. Nicht nur auf rein medizinischer Ebene, sondern auch im Hinblick auf die Wahrnehmung des weiblichen Genitals als kaputtes und fehlerhaftes Körperteil. Sanyal bringt es auf den Punkt: Es gibt nicht die eine genormte und schöne Vulva. Das ist eine berechtigte Kritik an den ebenfalls zum Trend avancierenden chirurgischen Korrekturen der Schamlippen, um einem verzerrten Schönheitsideal gerecht zu werden.

Ausstellung „Die große Unbenannte“
Montag, 5. Dezember
18 bis 20 Uhr
GB02 Ruhr-Uni

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