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„Die historische und inhaltliche Wahrheit der Bibel wird vorausgesetzt“, lautet das Credo der Georg-Müller-Schule in Bielefeld. Die Privatschule untersteht dem Verband evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS), einem Dachverband, der vor allem Eltern und Lehrpersonal anspricht, denen der religiöse Aspekt in öffentlichen Schulen zu kurz kommt. Um eine staatliche Genehmigung für eine christliche Schule in freier Trägerschaft als Ersatzschule zu bekommen, muss sich der Lehrplan an den für öffentliche Schulen orientieren. So wird neben kreationistischer „Forschungsansätze“ notgedrungen auch die Evolutionstheorie behandelt. „Die Notwendigkeit die Evolutionstheorie im Unterricht zu behandeln ergibt sich aus ihrer dominierenden Bedeutung als das Paradigma der Wissenschaften schlechthin“, so die Schule. Um dennoch das Primat der Schöpfungslehre zu wahren, wird unter Rückgriff auf Forschungsansätze und Argumente kreationistischer NaturwissenschaftlerInnen die Schöpfungslehre der Evolutionstheorie gegenübergestellt. „Die Schülerinnen und Schüler sollen zu einer fundierten und selbstständigen Auseinandersetzung mit beiden Denk-Modellen angeleitet werden.“
Der Sexualkundeunterricht auf der Gesamtschule warnt vor allem vor den Gefahren des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und Homosexualität: „In der Georg-Müller-Gesamtschule wird davon ausgegangen, dass Ehebruch, voreheliche Geschlechtsbeziehungen und Homosexualität falsches Handeln ist und Gott in der Bibel sehr ernst davor warnt.“  Der Fokus bei naturwissenschaftlichen Fächern liegt nicht so sehr auf der Vermittlung einer wissenschaftlichen, empirischen Methodik. Vielmehr wird die Potenz der göttlichen Schöpfungskraft gepriesen, den SchülerInnen soll ein Einblick in die Zweckmäßigkeit und Schönheit der Schöpfung Gottes vermittelt werden. Das Ziel: Ehrfurcht vor dem Planer der Natur.

Evolutionstheorie fehlerhaft

Nach außen werden die Einwände gegen die empirische Naturwissenschaft recht vorsichtig formuliert. Das entspricht der Strategie fundamentalistischer Evangelikalen, die Evolutionstheorie nicht mit dem Holzhammer, sondern systematisch als fehlerhaft zu denunzieren und ihre eigene Pseudowissenschaft zu etablieren.
Der Kreationismus war ursprünglich eine Reaktion aus protestantischen Kreisen auf die im 19. Jahrhundert aufkommende Evolutionslehre. Die VertreterInnen des Kreationismus postulieren anhand der evangelikalen Exegese eine wörtliche Auslegung der biblischen Schrift. Die Entstehung der Welt sieht demnach so aus: Für die Erde wird ein Alter von 6.000 bis maximal 10.000 Jahren veranschlagt. Die Schöpfung fand in sechs Tagen statt und alle Arten wurden gleichzeitig von Gott erschaffen. Dinosaurier existierten vor dem Sündenfall friedlich mit Mensch und Tier im Garten Eden und sind identisch mit den in Mythen und Sagen überlieferten Drachen. Herkömmliche wissenschaftliche Methoden zur Altersbestimmung werden von Kreationisten als unzureichend bezeichnet.

Unter dem Deckmantel der Wissenschaft

Um der „Theorie“ vom Kreationismus einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, hat der christlich-fundamentalistische Think Tank Discovery Institute in Seattle das Konzept des Intelligent Design (ID) entwickelt. Der christliche Gott wird durch eine höhere Macht ersetzt, die als kosmischer Designer agiert und über dessen (oder gar deren?) Eigenschaften keine Aussagen getroffen werden können. Freilich lässt sich der „Designer“ leicht als eben dieser christliche Gott identifizieren. Das Ziel der ID-IdeologInnen ist die Anerkennung ihrer Theorie als Wissenschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, streben KreationistInnen und Intelligent DesignerInnen eine Neudefinition des Wissenschaftsbegriffs an. Nach ihren Vorstellungen sollte der methodologische Naturalismus – die empirische Beweisführung – durch einen theistischen Realismus ersetzt werden. Kurz gesagt: Was die empirische Naturwissenschaft nicht erklären kann, wird einer transzendenten, übernatürlichen Wesenheit zugeschrieben – Problem gelöst. Kreationismus und Intelligent Design fungieren so als Vehikel, um christliche Ideologie in säkulare Bereiche der Gesellschaft zu transportieren.

Pädagogischer Sonderfall

Auch in Deutschland sind umtriebige „Evolutionskritiker“ wie Siegfried Scherer bemüht, ihre Weltsicht in die Didaktik einzubinden. Scherer, Professor für Mikrobielle Ökologie an der TU München und bis 2006 ehrenamtlicher Vorsitzender der kreationistischen Studiengemeinschaft Wort und Wissen, hat das Buch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ herausgegeben. Pikanterweise hat Scherer 2002 dafür den Deutschen Schulbuchpreis des Vereins „Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft“ erhalten. Der Verein setzt sich für „sittliche Bildung im Schulunterricht“ ein und zeichnet mit ihrem Schulbuchpreis Bücher aus, die „die Ehrfurcht vor Gott, Nächstenliebe, Toleranz und Dialogfähigkeit auf der Grundlage einer eigenen ethisch hohen, christlichen Überzeugung vermitteln.“

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