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Eigentlich sei es ihm zunächst nur darum gegangen, kleine, unwesentliche Details zu verändern, bevor er die Bilder als Fotojournalist an die Zeitung verkaufte, erklärt Gravlejs. Wie diese Knöpfe eben, oder der Austausch von Nummern auf einer Straßenbahn, oder ein fehlender Finger an der Hand von José Carera. Doch dann ließ er sich auch zu deutlich stärkeren Veränderungen hinreißen. Als er den Auftrag bekam, ein Foto von einem Verkehrsstau zu liefern, montierte er einfach weitere Autos ins Bild, weil gerade kein Stau da war. Auf dem T-Shirt eines Ausländers, der von der Polizei kontrolliert wurde, fügte er den Schriftzug „SMRT“ ein, tschechisch für Tod. „Eine Botschaft an die Polizei“, so der Künstler, der die journalistischen Regeln verletzte und damit zum Fotofälscher wurde.
Eine Kunstaktion, die das Mediengeschäft korrumpiert, und die gleichzeitig die Lebenswirklichkeit von vielen KünstlerInnen reflektiert, die ihre kreativen Prozesse unterbrechen müssen, um sich mit anderen Jobs ihr Brot zu verdienen – für Barbara Koch, Dirk Pleyer und Jens Sundheim passt das wie die Faust aufs Auge. Zu dritt haben die Dortmunder KünstlerInnen die Ausstellung organisiert. Das ist das Konzept des selbstorganisierten Künstlerhauses umweit des Dortmunder Hafens: Es bietet den Mitgliedern nicht nur Ateliers, um selbst ihren Projekten nachzugehen, sondern schafft auch Raum, um kuratorisch tätig zu sein. So werden interessante KünstlerInnen aus dem In- und Ausland eingeladen. Nur die eigenen Werke stellen die Mitglieder des Vereins niemals selbst aus.

Analoge Zufälle

Stattdessen aber zum Beispiel die Fotografien von Marco Wittkowski. Auch sie sind manipuliert, allerdings auf einer viel basaleren Ebene als die Zeitungsfälschungen von Ivars Gravlejs. Wittkowski fotografiert nachts urbane Orte und zerstört das analoge Schwarzweiß-Filmmaterial, zum Teil schon während der Ausbelichtung. Dabei montiert er die Orte neu, so dass surreale Perspektiven sichtbar werden. Zufall und Endgültigkeit sind Triebfedern seiner Methode – sozusagen das Spiegelbild der gesteuerten Eingriffe, welche im Rahmen von digitaler Bildbearbeitung die alltägliche Medienwirklichkeit konstituieren.
Foto-Manipulationen, eine gespenstisch anmutende Rauminstallation in fast völliger Dunkelheit, ein überdimensionaler Duschvorhang, dessen Muster sich nur bei ganz genauer Betrachtung als Sammelsurium diverser Gewaltdarstellungen entpuppen: So unterschiedlich die Arbeiten auch sind, gemeinsam ist ihnen der Anspruch, dass sie traditionelle Sehgewohnheiten und Deutungsmuster herausfordern – und dabei auf den zweiten Blick jeweils etwas mittransportieren, was zunächst im Verborgenen bleibt.

Feindliche Übernahme

Nur scheinbar mit holzhammermäßiger Klarheit kommt auch das spektakuläre „Take over BP“-Projekt des Konzeptkünstlers Ruppe Koselleck daher. Seit zehn Jahren fertigt er Malereien aus Rohöl an, das er an den Stränden der Weltmeere einsammelt. Mit dem Erlös aus seinen Rohölgemälden kauft er Aktien des Ölkonzerns BP, um ihn irgendwann mit einer Aktienmehrheit zerschlagen zu können. Eine feindliche Übernahme des Mega-Umweltverschmutzers BP aus den Reihen der Kunst – immerhin 1768 der insgesamt 18,7 Billionen BP-Aktien konnte Koselleck sich bereits so aneignen. Der Konzern ist von den durch Dada und Fluxus inspirierten Auftritten des Konzeptkünstlers nicht amüsiert, und doch steckt hinter all dem mehr als Öko-Agitprop. Als er das Projekt vor zehn Jahren begonnen habe, sei es vielmehr als Intervention in den Kunstmarkt konzipiert gewesen, auf dem die Preise für Ölgemälde schwanken wie auf dem Aktienmarkt, sagt Koselleck. Kapitalismuskritik ganz nah an der eigenen Branche also. Für die Dortmunder Ausstellung hat er unter anderem eine Hommage an seine westfälische Wahlheimat erstellt: Ein quadratmetergroßes Werk aus Pumpernickel und Deepwater-Horizon-Öl. Im Laufe der Ausstellung werde es wohl Stück für Stück auseinanderfallen und sich auf auf dem Boden neu manifestieren. „Wie könnte man Westfalen besser versinnbildlichen als so?“, fragt Koselleck. Hinterhältig, irgendwie.

Hinterhalt – Manipulation und Subversion in der Kunst
Ausstellung im Künstlerhaus Dortmund, Sunderweg 1
Bis 23. Oktober,  Do-So 16-19 Uhr
Infos: www.kh-do.de

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