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Der 76-Jährige Dalai Lama scheint seine Ämter noch vor seinem Tod in vertrauensvollen, heißt tibetischen Händen wissen zu wollen. Er trat von allen seinen politischen Ämtern zurück und übergab sie an den Harvard-Professor Sangay, der sein Amt am 8. August antrat. Eine Verfassungsänderung macht die politische Nachfolge möglich. Im März dieses Jahres verkündete  der Dalai Lama zudem, dass auch sein religiöser Nachfolger noch vor seinem Tod gefunden werden soll. Dies ist nicht nur theologisch, sondern auch politisch brisant, denn: Prämortale Reinkarnation ist nach den Prinzipien des tibetischen Buddhismus eigentlich unmöglich. Ob der Plan des Dalai Lama aufgeht und die Ziele Pekings, Tibet vollständig zu einer Provinz der Volksrepublik zu machen so zerschlagen werden, hängt vor allem von der internationalen Anerkennung Sangays als Premierminister aller TibeterInnen ab.

Neues politisches Oberhaupt

Der 43-Jährige Lobsang Sangay, Jurist und Völkerrechtler, gilt bereits als demokratischer Retter Tibets. Gerade die zweite Generation der ExiltibeterInnen hofft, dass Sangay den vom Dalai Lama verfolgten „Weg der Mitte“ zur Erlangung der völkerrechtlichen Autonomie Tibets erfolgreich zu Ende bringen wird. Er hat gute internationale Kontakte. Auch in China soll er vorteilhafte Beziehungen haben. Die chinesische Führung ließ dagegen verlauten, dass die Wahl Sangays eine „Farce“ sei, der politische Rückzug des Dalai Lama eine „Lüge“. Zudem wirft China Sangay vor, als hochrangiges Mitglied des Tibetean Youth Congress einer der Drahtzieher der tibetischen Aufstände im März 2008 gewesen zu sein. Bis heute ist eine internationale Bewertung dieser Aufstände kaum möglich, da China jede „Einmischung in innere Angelegenheiten“ ablehnt. Damals wurden  ausländische JournalistInnen aus Tibet ausgewiesen, Internetseiten wie YouTube gesperrt. Die chinesischen Vorwürfe gegen Sangay seien eine Fortführung solch anti-tibetischer Propagandabemühungen, sagte der Vorsitzende der Tibet-Initiative Deutschland (TID) Wolfgang Grader im Deutschlandradio. Er fordert, den neuen Premierminister Tibets auch international anzuerkennen. Deutschland bekennt sich indes zur Ein-China-Politik – der Dalai Lama wurde nie als politischer Führer anerkannt, ebenso wenig wie die tibetische Exilregierung oder die TAR.

Neues geistiges Oberhaupt

Unlängst schlug der Dalai Lama unorthodox vor, seinen Nachfolger ähnlich einer Papstwahl zu suchen. Ganz nach seinem Versprechen, die Demokratie in Tibet zu fördern, könne auch eine Frau die geistige Nachfolge antreten. Der Nachfolger eines Lama wird traditionell nach dem Tod des Vorgängers von einer aus hochrangigen Mönchen bestehenden Findungskommission gesucht. Wichtige Bedingung hierfür ist das Entstehen eines neuen Lebens, das durch das Karma des Verstorbenen angeregt wird. Der Dalai Lama ist die Reinkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara, reinkarniert also freiwillig, da er bereits „erwacht“ ist. Theologisch fraglich bleibt, wie ein neues Leben angeregt werden soll, solange der aktuelle Dalai Lama nicht verstorben ist.
Politisch ist der Vorschlag des Dalai Lama allerdings durchaus sinnvoll: China will das nächste geistige Oberhaupt am liebsten selber bestimmen, um die eigene Macht in Tibet auszubauen. Dies gilt es aus tibetischer Sicht zu verhindern. Die Volksrepublik versucht seit einiger Zeit, den Einfluss des tibetischen Buddhismus durch wirtschaftliche Projekte und den Zuzug chinesischer BürgerInnen zu brechen. Das vergleichsweise rückständige Tibet ist längst wirtschaftlich abhängig von China. Seit 1983 werden chinesische StaatsbürgerInnen durch Anreize wie Steuervergünstigungen zur Umsiedlung gen Westen bewegt. Mittlerweile wohnen in Tibet 7,5 Millionen ChinesInnen und nur noch 6 Millionen TibeterInnen. Die ChinesInnen bringen ihre Lebensart mit, die der westlichen immer ähnlicher wird. Vor allem der tibetische Klerus fürchtet, dass die ChinesInnen so das kulturelle Erbe Tibets unterwandern.

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