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Wäre die Lage nicht ernst, man könnte  es für einen schlechten Scherz halten. Nachdem der damals 19-jährige Neonazi André Zimmer unter anderem wegen der Sprengung seines eigenen Briefkastens, welche er auf Flugblättern der Antifa anlastete, letzte Woche verurteilt wurde, explodieren in Bochum wieder die Briefkästen. Die Täter auch dieses Mal:  Nazis. Doch diesmal traf der rechte „Volkssport“ eine engagierte Bochumerin, welche sich die neuesten Entwicklungen in Langendreer nicht gefallen lassen wollte. Seit einiger Zeit nämlich häufen sich in dem alternativen Stadtteil rechte Übergriffe, Hakenkreuz-Schmierereien und Einschüchterungen gegen (vermeintlich) linke und migrantische BürgerInnen. Es ist ungemütlich geworden im Kiez, seit sich eine Gruppe Rechtsradikaler in der Alten Bahnhofstraße eingenistet hat und nun massiv nach Aufmerksamkeit heischt. „Es ging alles sehr schnell“, berichtet Jürgen Becker (Name geändert),  der seit knapp 15 Jahren in dem bunten Stadtteil lebt. Früher, vor zehn bis zwölf Jahren, sei es schon mal hier und da zu vereinzelten Störaktionen junger Rechter gekommen. Die neuen ungebetenen Nachbarn aber, das seien klischeehafte Stiernacken-Nazis, pöbelnde Glatzköpfe in Lonsdale-Shirts.

„Die haben was vor“

Dass diese nicht nur spielen wollen, musste vor ungefähr zwei Monaten ein junger Familienvater am eigenen Leib erfahren. Dieser wurde vor zwei Monaten, er war in Begleitung seines Sohnes und dessen Freund unterwegs, auf Höhe der braunen Wohngemeinschaft von drei Männern unvermittelt zu Boden geschlagen. Sprüche wie „Zecke verrecke!“ waren zu hören. So schnell wie die Angreifer gekommen waren, so schnell waren sie wieder weg. „Wahrscheinlich zurück in ihre Erdgeschoßwohnung“, wie Becker vermutet. Seitdem vergeht kaum eine Woche, in der nicht Gruppierungen von bis zu 20 Personen skandierend durch das nächtliche Langendreer ziehen, um auch mal gezielt vor Wohnungen von Menschen  zu provozieren, die sich Beleidigungen und Angriffe nicht haben bieten lassen. Die Einschüchterungen haben System. Doch warum gerade Langendreer? Jürgen Becker kann darüber nur mutmaßen. „Die haben irgendetwas vor“, so der großgewachsene Mittdreißiger, der selbst viele Jahre in alternativen Wohnprojekten gelebt hat. Es sei sehr auffällig, wie offen die Rechten durch die Straßen flanierten, sich Wohnungen und Autos bestimmter Personen merken und, trotz Frühlingswetter, auch schon mal ihre Quarzhandschuhe spazieren tragen. „Es ist nicht auszuschließen, dass weitere Wohnungen in der unmittelbaren Nähe angemietet wurden und werden“, so Becker. Doch gegen die braunen Umtriebe regt sich Widerstand. Das wichtigste, so eine junge Studentin aus Langendreer, sei es, die Bevölkerung in und um den Stadtteil zu informieren. „Je breiter die Front ist, desto ungemütlicher kann man es ihnen machen!“ Gewalt sei keine Lösung, vielmehr müsse man mit Staßenfesten, Flugblättern und bürgerInnennahen Demostrationen reagieren.

Man organisiert sich

Und so hat sich bereits ein rund 30-köpfiger runder Tisch gebildet, welcher den Widerstand organisieren will. Die TeilnehmerInnen sind eine bunte Mischung aus lokalen MedienvertreterInnen, Parteien, engagierten Einzelpersonen, Betroffenen und AntifaschistInnen. Sämtliche Geschäfte im Brennpunkt seien bereits informiert, aber auch Einrichtungen wie Büchereien, Kulturzentren und Kirchengemeinden seien angesprochen worden. In Zukunft möchte man auch auf Schulen, Vereine und dergleichen zugehen. Den TeilnehmerInnen ist wichtig deutlich zu machen, dass es hier nicht um „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ geht, wie die Lokalpresse jüngst kolportierte. Die Resonanz kann sich sehen lassen: Zwei Interessensgemeinschaften ortsansässiger Geschäftsleute sollen Interesse an dem runden Tisch bekundet haben, eine Kirchengemeinde hat gar ihre Räumlichkeiten angeboten. Es geht darum zu zeigen: Ein Stadtteil wehrt sich! Ein Ende der Sprengstoffanschläge auf Bochumer Briefkästen ist indes nicht in Sicht: Neben „White Power“ und „Sieg Heil“-Parolen prangt ein Schriftzug ebenfalls auf einem Stromkasten: „Freiheit für André Zimmer“.

Der Autor ist der Redaktion bekannt.

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