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In Deutschland sind unter anderem ADÜTF (Föderation der Idealistenvereine in Europa), ATB (Europäisch-Türkische Einheit) und ATIB (Türkisch Islamische Union Europa) aktiv. Ein Teil ihres Erfolgskonzepts ist, dass sich die lokalen Mitgliedsvereine häufig als türkische Selbsthilfeorganisationen etablieren konnten. Sie haben Einfluss auf Kultur- und Elternvereine, Fußballclubs und Moscheen – und damit auf das soziale Leben der türkischsprachigen Bevölkerung in Deutschland. Dass die Vereine von Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte akzeptiert werden, ist eine wichtige Basis für diesen Erfolg. Gleichzeitig verbreiten die Gruppen nationalistische Ideologien und schüren auch Konflikte mit ethnischen Minderheiten. Es handelt sich um eine neue Form von Rechtsextremismus, nämlich den „ethnischen Nationalismus“.

Zur Ideologie der Grauen Wölfe

Ihren Ursprung haben die rechten Vereine in einer politischen Partei: In den 1960er Jahren formte sich die türkische Nationalistische Bewegungspartei MHP ideologisch in eine rechtsextrem-nationalistische Partei um. Dabei bediente sie sich eines Symbols aus der türkischen Mythologie: Der Graue Wolf führte der Legende nach im 8. Jahrhundert die Göktürken aus dem sagenhaften Ergenekon-Tal heraus – heute steht er für die Militanz der rechtsextremen Bewegung, die ideologisch auf einem Konglomerat von verschiedenen nationalistischen und islamischen Vorstellungen basiert.

Ausgangspunkt der politischen Ideologie der MHP ist ein idealistischer Nationalismus. Dieser beinhaltet einen ausgeprägten Rassismus gegenüber nicht-türkischen Bevölkerungsteilen, zum Beispiel KurdInnen. Im Zentrum außerdem steht eine vielseitige Propaganda gegen Linke, gegen SozialistInnen und gegen demokratische Institutionen, zum Beispiel Gewerkschaften. Auf dieser Grundlage hat Alparslan Türkes, der Führer der Bewegung Graue Wölfe, im Jahr 1965 die „Neun-Strahlen-Doktrin“ propagiert: Der politische Leitsatz gab vor, dass der Nationalismus für die Türkei ein dritter Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus sei.

Dazu tritt das Konzept der „Türkisch-Islamischen Synthese“, das derzeit das Kernideologem des türkischen Rechtspopulismus und -nationalismus ist. Es wurde in den 1970er Jahren im Umkreis eines Zusammenschlusses von rechtspopulistischen WissenschaftlerInnen, UnternehmerInnen und PublizistInnen entwickelt, der sich „Heim für Intellektuelle“ (Aydınlar Ocağı) nennt. Seinem Selbstverständnis nach ging es dem antikommunistischen Club darum, den Einfluss linker Ideen zurückzudrängen. Die zentrale Botschaft der „Türkisch-Islamischen Synthese“ ist die Vorstellung, dass die türkischen-nationalen und die islamischen Bestandteile der türkischen Geschichte untrennbar miteinander verbunden seien. Mit dieser Form der Geschichtsschreibung wird nun versucht, eine neue türkische Identität aufzubauen, in welcher der türkische Nationalismus mit islamischen Elementen verschmilzt. Politischen Rückhalt findet die Vorstellung der „Türkisch-Islamischen Synthese“ nicht nur im offen rechtsextremen Lager, sondern auch in der Breite der konservativ-nationalistischen und islamistisch orientierten Bewegungen und Parteien.

Innerhalb der türkisch-rechtsextremen Organisationen in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren außerdem der Begriff des „Europäischen Türkentums“ (Avrupa Türklüğü) als Sammelbegriff für die türkisch-nationalistische Identität in Europa geprägt. Damit sind vor allem die MigrantInnen angesprochen, die zwar ihren Lebensmittelpunkt in Europa haben, aber dennoch ihre türkisch-islamisch-nationalistische Identität weiter verbreiten sollen. Anders als man zunächst vielleicht vermuten könnte, propagieren die Gruppen dabei ein instrumentelles Verhältnis zum Staatsbürgerschaftsrecht: Unter dem Schlagwort „Werde Deutscher, bleibe Türke“ fordern nahezu alle türkisch-rechtsextremen Organisationen ihre Mitglieder auf, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, aber gleichzeitig in allen Lebenslagen und Institutionen ihr „türkisches“ Dasein verstärkt zu präsentieren. Teil dieser rechten Strategie ist es also, die Staatsbürgerschaft von der nationalen Identität zu entkoppeln – so sollen auch die mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbundenen Rechte dazu eingesetzt werden, eine starke türkisch-nationalistische Lobby zu bilden.

Für eine interkulturelle und antirassistische Jugendarbeit

Wie kann man dem Erfolg der rechtsnationalistischen Vereine gerade bei türkeistämmigen Jugendlichen begegnen? Eine mögliche Antwort ist interkulturelle und antirassistische Jugendarbeit. Diese Praxisansätze lehnen inhaltlich jede Form von Rechtsextremismus und Rechtsnationalismus offensiv ab. Gleichzeitig vermeiden es aber, die Jugendlichen dabei vorschnell zu etikettieren. Vielen türkischstämmigen Jugendlichen ist überhaupt nicht bewusst, welche ideologischen Konstellationen sich hinter den Vereinen verbergen, die zum Beispiel Hausaufgabenhilfe und Freizeitmöglichkeiten anbieten. Auch familiäre und gruppenspezifische Motive führen dazu, dass rechtsextrem-islamistische Organisationen als Anlaufstelle für Jugendliche attraktiv erscheinen. Häufig ist es allerdings auch die Erfahrungen, als „Ausländer“ oder „Türke“ stigmatisiert zu werden, die die Jugendlichen nach einer scheinbar starken Gemeinschaft suchen lässt.

Gegen diese Verhältnisse sendet interkulturelle und antirassistische Jugendarbeit politische Signale: Andere verbreitete Konzepte stellen „Deutsche“ und „Migranten“ noch immer einander gegenüber und sind vor allem darauf ausgerichtet, ZuwandererInnen in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Der interkulturelle Ansatz fordert dagegen die Bereitschaft ein, ernst zu machen mit der „Einwanderungsgesellschaft“: Wechselseitigen Zuschreibungen soll vorgebeugt werden, indem man miteinander lernt, statt nur übereinander zu sprechen.

In Bochum-Dahlhausen haben die Grauen Wölfe die ehemalige Gaststätte „Alt Dahlhausen“ angemietet. Im Stadtteil hat sich ein Bündnis gegen die extrem rechte türkische Gruppe gebildet. Für die bsz erklärt der Politik- und Sozialwissenschaftler Kemal Bozay, was es mit den Grauen Wölfen auf sich hat. In seinem Buch „… ich bin stolz, Türke zu sein!“ (2005) untersuchte er, welche gesellschaftlichen Umstände bei deutsch-türkischen Jugendlichen für eine Re-Ethnisierung und Re-Nationalisierung sorgen. Bozay arbeitet als Geschäftsführer des IFAK e.V. in Bochum.

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