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KritikerInnen werfen den Verantwortlichen im Ruhrgebiet sogar vor, dass genau dieser provinzielle Größenwahn für die 21 Toten und die hunderten von Verletzten bei der Duisburger Loveparade verantwortlich gewesen sei. Sie fordern, lokale Entscheidungen nicht mehr allein den LokalpolitikerInnen zu überlassen. Die BewohnerInnen sollen sich ihre Städte wieder selbst aneignen. Think global but act local, mit diesem Anspruch haben sich im vergangenen Jahr an verschiedenen Orten der Republik sogenannte „Recht auf Stadt“-Bündnisse gebildet.
Der Begriff „Recht auf Stadt“ (RAS) geht auf den französischen Stadtsoziologen Henri Lefèbvre zurück. Für viele ähnliche Bündnisse gilt das Hamburger RAS-Netzwerk als Vorbild und Inspiration. In einer Grundsatzerklärung schreiben die AktivistInnen aus Hamburg: Das Recht auf Partizipation werde „nicht erteilt, es gehört allen – unabhängig von sozialer oder nationaler Zugehörigkeit. Deshalb sollten auch alle die Möglichkeit haben, mitzubestimmen, wie Stadt gestaltet wird. So verschieden, wie die Interessen an Stadt sind, so verschieden sind die in den stadtpolitischen Initiativen aktiven Menschen.“
RAS Hamburg ist ein lockeres Netzwerk aus Initiativen und Einzelpersonen mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen. Das Spektrum reicht von NutzerInnen bedrohter Schrebergartensiedlungen über den alternativen MieterInnenverein „Mieter helfen Mieter“ bis zu den AktivistInnen der besetzten Roten Flora. Ihre Forderungen machen sie unter anderem durch spektakuläre Aktionen öffentlich, wie etwa Spontanpartys während Wohnungsbesichtungen in überteuerten Mietobjekten. Auch Besetzungen von leerstehenden Gebäuden und Aktionen beim traditionellen Schanzenfest stehen unter dem Motto „Recht auf Stadt“. Vor vier Wochen fanden die Aktivitäten des Hamburger Netzwerks mit der „Fette Mieten“-Demo ihren bisherigen Höhepunkt: Über 6000 Menschen beteiligten sich.
Ihren Ausgangspunkt hatte die Bewegung in der erfolgreichen Besetzung des historischen Gängeviertels und in Auseinandersetzungen um die alternativen Stadtteile in St. Pauli. Dort wurden viele Gebäude einst von MigrantInnen, JobberInnen und subkulturellen BewohnerInnen vor dem Abriss gerettet. Heute bilden diese Häuser oftmals die Fassade für stylische KonsumentInnen aus dem gehobenen Mittelstand. Die Mieten steigen massiv, für ärmere Menschen werden sie damit immer unbezahlbarer. Ein klassischer Fall von Gentrifizierung: Die ursprünglichen EntdeckerInnen von billigen Wohngebieten werden zusammen mit der ursprünglichen Wohnbevölkerung verdrängt.  In Hamburg beschleunigte sich dieser Prozess durch den Zuzug von finanzkräftigeren BewohnerInnen bei gleichzeitiger Einstellung sozialer Wohnungspolitik.
Ein aktuelles Beispiel, dem materiell entgegenzuwirken, ist die Initiative No BNQ, die ein  leerstehendes Viertel nahe der ehemals besetzten Hafenstraßenhäuser kaufen will. Auch hier hat sich ein Investor ein Gebiet gesichert, um dort teure Büros und gehobenen Mietraum zu schaffen. Die Initiative aus AnwohnerInnen und Wohnungssuchenden hat nun ein Konzept erarbeitet, wie diese Häuser in Selbstverwaltung übernommen werden können, und wie gemeinsam über die weitere Entwicklung entschieden werden kann.

Bewegung auch an Rhein und Ruhr

4-1b_IndymediaVor allem aufgrund der bundesweit beachteten Hamburger Proteste bildeten sich in anderen deutschen Städten ähnliche Bündnisse heraus – etwa in Wuppertal (Basta!) und Düsseldorf (freiraum). Kommunale Themen, die sonst eher unbeachtet in Kommunalparlamenten und Hinterzimmergesprächen zwischen Unternehmen und Wirtschaftsförderung laufen, werden so wieder mehr beachtet. Das galt in den vergangenen Monaten ebenso für die Proteste gegen Stuttgart 21, auch wenn dort „Recht auf Stadt“ nicht auslösend für die Offensive der BürgerInnen war.
Auch im Ruhrgebiet gibt es einige Initiativen, die ein Recht auf Stadt einfordern, sich aber noch nicht im Bündnis zusammengeschlossen haben. Ähnliche Ansätze wie die RAS-Bewegung vertreten etwa die lokalen Sozialforen. Die AG Kritische Kulturhauptstadt thematisierte viele Aspekte im Kulturhauptstadtjahr. Das verkürzte Kulturverständnis der Kulturhauptstadt GmbH nahmen im Sommer auch die Initiativen freiraum aus Essen und das Unabhängige Zentrum Dortmund (UZDO) auf. Beide besetzten leerstehende Gebäude, um sie für freie und alternative KünstlerInnen sowie soziale und politische Gruppen nutzbar zu machen. Denn während die Kulturhauptstadt GmbH eher wenige Leuchtturmprojekte gefördert hat, blieben die meisten lokalen Initiativen außen vor.

Schrumpfendes Ruhrgebiet

Die Initiativen im Ruhrgebiet machen deutlich, dass ein „Recht auf Stadt“ hier andere Forderungen beinhaltet als etwa in Hamburg oder Düsseldorf. Auch sie wenden sich gegen das Leitbild einer unternehmerischen Stadt, in der die EinwohnerInnen als „Humankapital“ wahrgenommen werden und setzen dieser Ideologie die Wiederaneignung von unten entgegen. Allerdings spielen hier steigende Mieten und das Verschwinden von letzten leerstehenden Flächen  kaum eine Rolle. Der Unterschied zu Hamburg ist höchst simpel: Die Hansestadt boomt und wächst, während das Ruhrgebiet sinkende EinwohnerInnenzahlen hat.
Was in öffentlichen Debatten zumeist nur als Strukturproblem gesehen wird, birgt für die Wiederaneignung der Städte, aber auch Chancen und Möglichkeiten: Neben bezahlbaren Mieten gibt es Leerstand ohne Ende – hingegen zu wenig Bewegung und spannende Orte. Vor diesem Hintergrund fordern AktivistInnen im Ruhrgebiet, die leeren Räume  kostengünstig zur Verfügung zu stellen. Genau hier setzt etwa das UZDO an. Die Initiatve veranstaltet am 4. und 5. Dezember im leerstehenden ehemaligen Ostwallmuseum ein kleines Festival mit der Forderung, das der Stadt Dortmund gehörende Gebäude der Initiative dauerhaft zur Verfügung zu stellen.
Interessant wird sein, ob die „Recht auf Stadt“-Initiativen ein zeitlich begrenzter Hype sind oder längerfristig lokale Entscheidungen beeinflussen können. Zudem steht die Frage im Raum, wie sich die Bündnisse und ihre Forderungen weiterentwickeln – denn zwischen Hamburger Autonomen, Hartz IV-EmpfängerInnen im Ruhrgebiet und Stuttgarter ParkschützerInnen gibt es durchaus Widersprüche.

Weitere Informationen:
Recht auf Stadt Hamburg:
http://www.rechtaufstadt.net/
AG kritische Kulturhauptstadt:
http://k2010.blogsport.de/
UZDO:
http://uzdortmund.blogsport.de/

No BNQ:
http://www.no-bnq.org/

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