Wieso? Die Gewerkschaften etwa können sich freuen, dass es noch Vorgesetzte gibt, die total arbeitnehmerfreundlich handeln. Schließlich hätte Frau Käßmann auch ihren zum Dienstwagen gehörigen Fahrer mit ihrer Heimbringung beauftragen können. Aber nein, zu so später Stunde das extra dafür angestellte Personal in Anspruch zu nehmen, das sollte in unserem Sozialstaat eine Sünde sein. Dachte sie sich und bretterte los.

Gott sei Dank, keine Toten. So wurde Frau Käßmann auch für mich zum Vorbild. Mein Plan für nächste Woche: Rotzenvoll mit dem Auto über jede Ampel des Innenstadtrings düsen und danach von meinen Ämtern zurücktreten. Damit endlich mal jeder kapiert, dass auch ich die Moral in Person bin. Ich wäre natürlich auch total erschrocken, dass ich mich voll wie zehn Russen hinters Steuerrad gesetzt habe. Und das auch noch zur Fastenzeit! Den rechtlichen Konsequenzen würde ich mich gezwungenermaßen auch stellen. Nehmt mir ruhig den Lappen, aber nicht meine Integrität! Ein genialer Plan.

Es reicht schließlich nicht, sich Anerkennung durch ein hohes Amt in der säkularen EKD zu verdienen –und schon gar nicht als geschiedene, weibliche und zugeschrieben linke Bischöfin. Da muss mehr zu holen sein. Man muss sich unentbehrlich machen. Während sich der blasse Nachfolger im frisch verlassenen Amt schon einfühlt, weiß Frau Käßmann längst, dass ihr großes Comeback schon bald erfolgen wird.
Ich bin mir sicher, Frau Käßmann kommt wieder. Ihr Beitrag für die Gesellschaft ist viel zu wichtig, meinen jedenfalls die Online-Kommentatoren einstimmig. Wer, wenn nicht die Obrigkeiten der Kirchen sollten sich zu so weltlich-politischen Dingen wie dem Krieg in Afghanistan oder Hartz IV äußern? Scheint ja auch sonst keiner qualitativ zu können.

Frau Merkel ist traurig. Und Herr Gabriel. Und auch Frau Roth. Der Kirchenbeauftragte der FDP Christoph Heinemann lässt verlauten, dass Frau Käßmann einen Fehler begangen habe, was allerdings nicht zu einem Absprechen ihrer Integrität führen sollte. Hoffentlich sei ihre Stimme auch in Zukunft hörbar. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer sekundiert: Diejenigen, die jetzt so tun, als könne ihnen gar nichts passieren, gefielen sich in einer moralischen Pose der Überlegenheit gegenüber denen, die sich falsch verhalten. Gut gebrüllt, alter Protestant.

Aber mal ehrlich: Der Rücktritt bestätigt nicht in erster Linie, dass Frau Käßmann mutiger ist als ihr Ruf, sondern vor allem ihre konservativen Kritikerinnen und Kritiker. Die müssen vorerst nicht mehr die Stimme einer unbequemen und unkonventionellen Bischöfin in Amt und Würden vernehmen. Manch ein fortschrittlicher Protestant wird deswegen derzeit in Stoßseufzer ausbrechen: Warum nur hat sich Frau Käßmann nicht so verhalten wie Jürgen Rüttgers? Dann hätte nämlich nur das Auto zurücktreten müssen.

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