Bild:

Deutschlands Griff nach dem Osten

Der 1942 erstellte „Generalplan Ost“ (GPO) sollte die Grundlage für die Umsetzung der Forderung nach „Lebensraum im Osten“ bilden. Diese Forderungen haben in Deutschland eine lange Tradition: Bereits im auslaufenden 19. Jahrhundert wurde im Kaiserreich, in Ablehnung der aufkeimenden Moderne, ein romantisch verklärtes bäuerlich-ländliches Dasein als Inkarnation deutschen Geistes beschworen. Schon damals sollte als dessen neu zu schaffende geographische Keimstätte in Russland liegen. In der Kriegszieldiskussion des ersten Weltkriegs sinnierte etwa der zeitgenössische Historiker Friedrich Meinecke darüber, ob man nicht „bäuerliches Kolonisationsland“ schaffen könne, wenn man „die Letten nach Rußland [sic!] abschieben“ würde. Die deutsche Niederlage verhinderte zwar vorerst die praktische Umsetzung, keineswegs aber die kolonialistischen Träumereien, welche im Verlauf der 1920er und 30er Jahren zusätzlich mit rassentheoretischen Elementen angereichert wurden, um daraus einen „natürlichen“ Anspruch auf Osteuropa abzuleiten. Tödliche Relevanz erlangten die Pläne wieder mit dem deutschen Überfall auf Polen und die Sowjetunion. In der Konsequenz ging es in den Planungen für die Okkupation Osteuropas während des zweiten Weltkriegs darum, „einen Großteil der Bevölkerung zu ermorden oder verhungern zu lassen“. Die dort lebenden Juden tauchen in den Dokumenten übrigens nicht auf: Ihre Ermordung hatten die Planer bereits unausgesprochen vorausgesetzt.

Vollstrecker des Common Sense

Dabei waren die für den GPO verantwortlichen Raumplaner um den Ordinarius Konrad Meyer vom Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin keineswegs besonders radikale Vertreter ihres Fachs oder der wissenschaftlichen Gemeinschaft im Deutschland ihrer Zeit. Die Ausstellungsmacher stellen die politische Ausrichtung der DFG und ihrer Mitglieder quasi als Spiegel der deutschen Gesellschaft dar: Die „Mehrheit der Wissenschaftler“ wurde demnach keineswegs „,gleichgeschaltet‘ oder ,missbraucht‘, sondern mobilisierte sich selbst und aus freien Stücken für das NS-Regime“. So lief die politische Entwicklung über die Hegemonie nationalkonservativer Professoren in der Weimarer Zeit über die der Nazis und führte schließlich bis zur Ankunft der 1949 wiedergegründeten DFG im demokratischen Gefüge der Bundesrepublik. Dass das selbe Personal mit den teils selben Inhalten seine Karriere nach kurzer Unterbrechung fortführen konnte, passt allerdings nicht ganz in dieses Bild (wird in der Ausstellung aber auch nicht verschwiegen). Meyer konnte sich in den Nürnberger Prozessen damit herausreden, dass der GPO nur „unpolitische Grundlagenforschung“ gewesen sei, wurde freigesprochen und in den 50er Jahren Professor und Institutsdirektor in Hannover. Sein Kollege Heinrich Wiepking wirkte ebenfalls in Hannover und war bis in die 1990er Jahre Namensgeber des von der Deutschen-Gartenbau-Gesellschaft für herausragende Diplomarbeiten in ihrem Fachgebiet vergebenen Wiepkingpreises.

Neben der Professorenschaft gibt es übrigens auch noch eine andere Gruppe akademischer Mittäter: Im so genannten „Facheinsatz Ost“ und im „Wissenschaftseinsatz Ost“ haben rund 3.000 Studenten und Studentinnen Daten erhoben, die in die späteren Planungen für die besetzten Gebiete eingehen sollten.

Geschichtsdiskurse

In einem Punkt steht die Ausstellung ganz im Geschichtsdiskurs der BRD: Sie erscheint nämlich zeitlich ein ganzes Stück nach dem Ableben der Personen, die maßgeblich an den geschilderten Ereignissen beteiligt waren. Konrad Meyer ist ebenso wie Wiepking seit 1973 tot. Auch sind einige auf den Ausstellungstafeln präsentierte Ausschnitte aus Interviews mit Zeitzeugen – oder eher Opfern – unglücklich gewählt.  Eine deportierte Frau berichtet auf einer Tafeln davon, dass sie am Ende ihrer Verschleppung in einem leer stehenden, kalten Häuschen einquartiert wurde. Nach Auffassung von KritikerInnen der Ausstellung stellt dies jedoch eine seltene Ausnahme dar – in der Regel hätten die Opfer nach gewaltsamer Vertreibung keineswegs ein Häuschen bekommen, sondern seien sich selbst und damit dem Hungertod überlassen worden.

Die Onlineversion der DFG-Ausstellung findet sich unter www.dfg.de/generalplan-ost. Die zitierten Stellen stammen aus dem Ausstellungskatalog.

 

0 comments

You must be logged in to post a comment.