Der Streit um das taz-Relief entstaubt altbackene Klischees

Eine Posse ohne Gleichen durchfährt derzeit die Hauptstadt dieser Nation: Ein neues Kunstwerk am Rudi-Dutschke-Haus, dem Sitz der notorisch linken tageszeitung, zeigt einen sechs Meter hohen erigierten Penis. Als Besitzer des Geräts erkennt das kulturell bewanderte Publikum Kai Diekmann. Er ist bekannt als  Chefredakteur der Bild-Zeitung, Lieblingsfeind der taz und konservativer Medienfatzke. In Berlin ist dieser Kleinkrieg Teil des alltäglichen Boulevards, die Fronten sind festgefahren. Für gewöhnlich sind die Linken dank ihres frechen Witzes die Sieger. In der Schlacht um das Glied allerdings werden plötzlich neue Rollenbilder freigelegt, die man auch auf dem Campus der RUB finden kann.

Der Bildhauer Peter Lenk gab seiner Skulptur, die er am 15. November an die Fassade montierte, den Titel „Friede sei mit Dir“. Neben Diekmanns überlebensgroßen Phallus sieht man noch Richter, Spießerfiguren und Tiere den satirischen Diskurs über Sexualität und Großmannsucht antreiben. Der Künstler selbst sieht die Aufregung um die Provokation mit Genugtuung, weil es sich wunderbar in sein Werk einpasst: In Ludwigshafen zum Beispiel kann man vor dem Rathaus eine Orgie von konservativen PolitikerInnen wie Angela Merkel und Edmund Stoiber als Plastik betrachten.
Die Darstellung von Diekmann geht zurück auf einen Rechtsstreit, den der Bild-Chef 2002 mit der taz führte. Die tageszeitung dichtete ihm damals in ihrer Kolumne eine extreme Penisverlängerung an. Daraufhin verlangten Diekmanns Anwälte 30.000 Euro Schmerzensgeld, was das Gericht ablehnte, mit Verweis auf die von der Bild-Zeitung selbst professionalisierten Verletzungen von Persönlichkeitsrechten.

Diekmann verliert trotz allem

In der basisdemokratisch geführten Redaktion der taz machte sich nach Enthüllung des Werkes Unmut breit. Einige SchreiberInnen sahen das Relief als neo-spießig an, andere wollten nicht dauernd einen Riesenpimmel im Blick haben, wieder andere werteten das Werk als Legitimation sexueller Aggression im öffentlichen Raum oder als nicht jugendfrei. Die Clowns richteten ihre Waffen gegen sich selbst. Erstmals wirkt die Redaktion der taz festgefahren und bieder. Letztendlich beschloss man, die Skulptur doch nicht zu verändern oder abzunehmen. Auf seinem Blog ätzt Diekmann derweil: „Ich gehe also davon aus, dass der Vorstand demnächst auch förmlich den Schwanz einzieht (hahahaha) […]“
Die Medienwelt – von Amateur-Blogs über die Frankfurter Allgemeine bis hin zum Spiegel – attestiert Diekmann zum ersten Mal Lässigkeit im Umgang mit der taz. Anscheinend hat er dazugelernt. Beim Betrachten seines Blogs fällt allerdings auf, mit wie viel Hochmut die vielen Posts zu dem Thema geschrieben wurden. Diekmanns Webauftritt gleicht dabei mehr einem Friseursalon, in dem 50-jährige Hausfrauen sich das Maul zerreißen, als einem lässigen Konter. Auch versucht Diekmann „subversiv“ als Genossenschaftler in der taz mitzuwirken, so dass er sich dabei zum Einzelkämpfer im fremden Lager stilisieren kann. Ihm hat wohl niemand gesagt, dass das seit Joschka Fischers Turnschuh-Vereidigung ein alter Hut ist.

Von Prinzipienreitern und Korinthenkackern

BetrachterInnen des Streits werden nun unsicher. Wenn die Linken die Uncoolen sind, die über alles debattieren und keinen Mut mehr haben – wer ist dann der Held? Jahrzehntelang konnte man sich in Deutschland darauf verlassen, dass Burschenschaftler keinen Humor haben, die Grünen die besten Trips schieben und Rio Reiser immer besser als Dieter Bohlen klingen wird. Diese Erfolgsreihe in den Kulturkämpfen der Republik hat sich dummerweise in linker Selbstgerechtigkeit manifestiert. Nervig wird das Ganze nämlich, wenn alternative GesinnungsgenossInnen ihre Prinzipien viel zu ernst nehmen. Dann wird das blinzelnde Auge des Spontis zur griesgrämigen Fratze des Ideologen. Auch im Uni-Alltag ist solches Verhalten angekommen. Wenn unentspannte AntifaschistInnen die Party platzen lassen, weil sie die netterweise bereitgestellte braune Limo für imperialistisch halten. Wenn militante VeganerInnen dem Gegenüber in die Suppe spucken, weil totes Tier drin schwimmt. Dann darf man trotz aller idealistischer Sympathie sagen: „Du Penis!“ Denn auch Menschen, die im roten Che-Shirt rumlaufen, können durchweg scheiße sein. Schmierige Krawattenträger im Axel-Springer-Haus sind es jedoch viel häufiger.

 

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