Wenngleich die zuletzt von einem Generalstreik flankierte Protestwelle gegen Sozialabbau, neoliberale Deregulierung sowie den jüngsten Akt brutaler Polizeigewalt am Wochenende ab-flaute, wurde seit den tödlichen Schüssen auf den 15-jährigen Alexis Grigoropoulos deutlich, dass Auswüchse turbokapitalistischer Globalisierung, die auch anderswo immer extremere Ausmaße annehmen, in Griechenland nicht widerstandslos hingenommen werden. „Repression, Ausbeutung und Verarmung“ gebe es zwar nicht nur dort, sagt die Bochumer Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen auf eine Anfrage der bsz zur aktuellen Lage in Griechenland, doch leidet das Land an einer „Teuerungsrate für die Grundversorgung, die in ganz Europa ihresgleichen sucht.“ Die Sprecherin für Migration und Integration der Linksfraktion im Bundestag rückt zudem die groteske Situation angesichts der sogenannten Finanzkrise in den Blickpunkt: „Die Banken erhalten trotz Rekordgewinnen eine staatliche Stütze von 28 Milliarden Euro, während viele Menschen Probleme haben, sich Lebensmittel zu kaufen.“

Antikapitalismus auf antifaschistischem Fundament

Die Vitalität des Widerstandspotentials im Land der ältesten zivilisatorischen Kultur Europas fällt jedoch nicht vom Himmel: Vor allem während der Militärdiktatur der „Schwarzen Obristen“ (1967 – 1974) bildete sich eine solide Basis für anarchistische Gruppen heraus, totalitäre Strukturen mit solidarischer Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung zu bekämpfen. Daher geht auch heute wieder eine Woge der Solidarität durch das Land, wenn „folterartige Zustände auf griechischen Polizeistationen“ und „die gewalttätigen Übergriffe von Uniformierten“ bekannt werden; denn bei den vermeintlichen HüterInnen der staatlichen Ordnung „entlädt sich immer wieder der nach wie vor herrschende Geist der Obristenzeit“, so Sevim Dagdelen – insbesondere, „wenn es darum geht, diejenigen, die protestieren, mit Polizeigewalt unten zu halten.“ Diese Feststellung wird auch durch einen Bericht in der WELT online vom 9.12.2008 untermauert: „Seit 1974, dem Ende der Militärdiktatur, hat es in Griechenland 15 Tote durch nachgewiesene Polizeigewalt gegeben.“ Laut dem griechischen Internet-Portal www.enet.gr waren es sogar über 70. Erst im November erhob sich in griechischen Gefängnissen zudem eine aktuell wieder wachsende Welle von Hungerstreiks gegen die Polizeigewalt.

Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten

Auch der verantwortungslose Umgang der konservativen griechischen „Neue-Demokratie“-Regierung mit existentiellen Nöten der Bevölkerung im Zuge der mutmaßlich durch Brandstiftung von Bodenspekulanten herbeigeführten Katastrophe vom Sommer 2007, als über 60 Menschen verheerenden Waldbränden vor allem auf der Halbinsel Peloponnes zum Opfer fielen und mindestens 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner obdachlos wurden, dürfte zur verstärkten Unzufriedenheit mit der Obrigkeit beigetragen haben. „Obwohl es in Griechenland regelmäßig zu Waldbränden kommt, wurden Feuerwehr und Brandvorsorge völlig vernachlässigt. […] Unter der PASOK-Regierung wurden unentwegt Gelder für öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur gekürzt, um die Vorgaben aus Brüssel und die Kriterien für die Einführung des Euro zu erreichen.“ (WELT online, 9.12.08)

Weltweite Solidarität mit griechischer Revolte

Seitdem die Revolte in Griechenland in der letzten Woche ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, gab es auch in vielen europäischen Ländern sowie in den USA zahlreiche Solidaritätsdemonstrationen mit dem griechischen Protestgeschehen. Wenngleich völlig offen ist, welchen Verlauf die derzeit hauptsächlich von demonstrierenden SchülerInnen zwischen 15 und 18 Jahren getragene weitere Entwicklung nehmen wird, steht für die Bochumer Bundespolitikerin Sevim Dagdelen fest, dass die „linken Kräfte“ dort „unsere Solidarität“ brauchen: „Denn Polizeigewalt, staatliche Repression, Ausbeutung und Verarmung sind keine spezifisch griechische Angelegenheit.“

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