Während das indirekt auf 800 Milliarden Dollar aufgestockte Rettungspaket für den amerikanischen Investmentbanking-Sektor in der vorvergangenen Woche zeitweise vom US-Repräsentantenhaus aufgehalten worden war, gab es hierzulande zunächst nicht viel Federlesen: Ohne jegliche Aussprache im Parlament erdreistete sich die Bundesregierung, sich nach alleiniger Debatte im Haushaltsausschuss mit bis zu 26,6 Milliarden Euro an der einstweiligen „Rettung“ der angeschlagenen Hypo Real Estate zu beteiligen. Selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sprach trotz der vorgesehenen Finanzspritze von zunächst insgesamt 35 Milliarden jedoch von einer „geordneten Abwicklung“ des Immobilienfinanzierers, dem bereits im Zuge der ersten geplanten „Rettungsaktion“ eine faktische Zerschlagung drohte.

Als dann die Rettungssumme für das notleidende Kreditinstitut in den Hinterzimmern des Bundesfinanzministeriums nachträglich auf 50 Milliarden Euro allein für 2008 aufgestockt wurde, schlug es dem Fass endgültig den Boden aus. Im ARD-Presseclub vom 5. Oktober wurde der Umstand, dass die staatliche Bankenaufsicht sowie das Finanzministerium offensichtlich nicht in der Lage gewesen waren, die wahren Dimensionen des Ruins der Hypo Real Estate im Vorfeld zutreffend auszuloten, als „unfassbarer Fall von Inkompetenz“ bezeichnet: „Die Ideologie des Finanzkapitalismus ist gescheitert“, folgerte der stellvertretende Chefredakteur des Stern, Hans-Ulrich Jörges. Als angeblicher Grund für das Versagen der Finanzaufsicht wurde die Vorlage „geschönter“ Bilanzen der Hypo-Unternehmenstochter Depfa angeführt, die es aus öffentlichen Mitteln gleich mit zu retten galt. Bei der vom Hypo-Real-Estate-Konzern übernommenen Depfa handelt es sich zudem ausgerechnet um einen „Steuerflüchtling“, der sich zuvor nach Irland abgesetzt hatte, wo nur 12,5 Prozent Unternehmenssteuern anfallen, und der nun aus Steuermitteln „gerettet“ werden soll.

Doch auch dies wurde Anfang dieser Woche noch getoppt: Diesmal verkündete die bundesdeutsche regierungspolitische Elite feierlich, im Kreise der 15 Staatschefs der Euroländer einen bis zu 400 Milliarden Euro schweren „Instrumentenkasten“ gezimmert zu haben, um künftig die Kakophonie des verstimmten europäischen Bankenorchesters dirigieren zu können. Nun muss die hastig hingekleckste Partitur nur noch in einer eilig anzuberaumenden Sondersitzung des Bundestages abgenickt werden – dann kann das steuerfinanzierte Panikorchester so richtig loslegen…

Wird Widerstand zur Pflicht?

Angesichts dieses völlig verantwortungslosen Umgangs mit Steuergeldern drängt sich zweifellos einmal mehr die Frage nach demokratischen Kontrollmechanismen des selbstherrlichen großkoalitionären Regierungshandelns auf. Während nicht nur unter Hartz-EmpfängerInnen der Kampf um jeden Euro inzwischen voll entbrannt ist, wirft das irrationale Verbrennen von Steuergeldern zur Subventionierung maroder Kreditinstitute abermals einen dunklen Schatten auf die verantwortungslose Politelite: So ist in der Politikwissenschaft offen die Rede vom voraussichtlichen Beginn einer Epoche der „Postdemokratie“ (Colin Crouch: Post-Democracy, Oxford 2004).
Mit ihrer willkürlichen Finanzpolitik startet die Bundesregierung nach der Aushöhlung des Grundrechts auf freie Berufswahl (Art. 12 GG) und des Sozialstaatsgebots (Art. 20 GG) durch die Hartz-Gesetze nunmehr indirekt einen neuen Angriff auf existentielle Belange der Menschen in diesem Lande: Durch die fahrlässige Inkaufnahme unkalkulierbarer finanzieller Risiken wird die mögliche Schaffung weiterer gigantischer Haushaltslöcher in Kauf genommen, die zwangsläufig neue angebliche „Sparzwänge“ nach sich ziehen und mit denen sicherlich die nächsten sozialen Einschnitte begründet werden. Dies zu dulden hieße, bei der weiteren Abwicklung des Sozialstaats und grundlegender demokratischer Rechte tatenlos zuzusehen. Daher ist die Zeit gekommen, den finanzpolitischen Größenwahn hierzulande endlich zu stoppen und die Politelite daran zu hindern, Grundrechte weiterhin mit Füßen zu treten und öffentliche Mittel willkürlich zu vernichten.

Ansonsten hilft wohl nur noch, rechtzeitig vom „Recht zum Widerstand“ (Artikel 20, Absatz 4 GG) Gebrauch zu machen – bevor Merkel, Steinmeier, Schäuble & Co. sich womöglich daranmachen, nach der jüngsten Weichenstellung für eine Verschärfung des Artikels 35 GG, der künftige Einsätze der Bundeswehr im Innern erleichtern soll (siehe bsz Nr. 760), auch noch den Widerstandsartikel des Grundgesetzes substantiell auszuhöhlen.

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