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Die Forderung von Innenminister Wolfgang Schäuble ist keineswegs neu und wurde schon unmittelbar nach den Terroranschägen vom 11. September 2001 kontrovers diskutiert. Der Einsatz von Bundeswehr-Kampfjets zum Beispiel gegen ein entführtes Passagierflugzeug ist bekanntlich vom geltenden Grundgesetz nicht gedeckt. Mit solchen Szenarien einer „neuen Bedrohung“ plausibilisierte vor allem die CDU das Ansinnen, eine Neudefinition des Kriegsfalls vorzunehmen und die Kompetenzen des deutschen Militärs massiv zu erweitern. Die SPD wollte etwas Ähnliches: Anstatt der Bundeswehr grundsätzlich im „Krisenfall“ den Einsatz im Inneren zu erlauben, präferierten die SozialdemokratInnen eine gefälligere Formulierung. Steinmeier und Co. wollten nicht den Kriegsfall neu definieren, sondern durchsetzen, dass die Bundeswehr „Amtshilfe auch mit militärischen Mitteln“ leisten darf.

Chance genutzt

Jetzt, wo sich die Ängste der einflussreichen Mittelschicht eher um ihr Aktienportfolio drehen und selbst fast mittellose RentnerInnen um ihre letzten ersparten Cents zittern, erschien die Situation günstig: Der inszenierte Formulierungsstreit wird beigelegt, indem die CDU weitgehend der SPD-Diktion zustimmt. Was der Terroranschlag mit dem entführten Passagierflugzeug in der CDU-Argumentation war, das ist in dem jetzt gefundenen Kompromiss das in Seenot geratene Schiff vor der Küste von Schleswig-Holstein. „Es geht um die Frage, wie kann die Bundesmarine ganz konkret helfen bei Unglücksfällen auf See, wo eigentlich die Wasserschutzpolizei zuständig wäre“, erklärte etwa der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck im Deutschlandfunk-Interview am Montag. Dabei ist die Vorstellung, dass deutsche Fregattenbesatzungen bisher tatenlos dabei zuschauen müssen, wie arme Seeleute ertrinken, ähnlich plausibel wie das von der CDU ventilierte Angstszenario von der bedrohten Heimat.

Im Westen nix Neues?

Auch ohne die jetzt vorbereitete Grundgesetzänderung wird die Bundeswehr schon massiv innerhalb Deutschlands eingesetzt. Besonders deutlich wurde dies im vergangenen Jahr während des G8-Gipfels in Heiligendamm, wo Luftwaffe-Tornados die Camps der DemonstrantInnen im Tiefstflug fotografierten, Spähpanzer die Straßen sicherten und sogar ein ganzes Krankenhaus unter Bundeswehr-Kontrolle gestellt wurde. Die Vorstellung, dass es möglich ist, dass Bundeswehr-Feldjäger bei solchen Großereignissen im Inland schon längst im Rahmen der „Amtshilfe“ das Landschaftsbild prägen, dass zur Rettung von ertrinkenden Seeleuten allerdings eine Grundgesetzänderung nötig wäre, ist schlicht absurd. Vielmehr scheint es darum zu gehen, die grundgesetzlich bisher festgeschriebene Trennung zwischen Polizei, Militär und Geheimdiensten weiter auszuhöhlen. Während die Änderung des Grundgesetzes noch vom Bundestag beschlossen werden muss, hat die Regierung auf einem anderen Politikfeld längst Fakten geschaffen: Im „Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration“ – kurz GASIM – arbeiten Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz schon seit zwei Jahren zusammen. Die angeblichen Bedrohungen, um die es hier geht: Illegale Einwanderung, Schwarzarbeit, Zwangsprostitution. In Bezug auf diese Zusammenarbeit haben sich in den vergangenen Wochen PolitikerInnen und JuristInnen zu Wort gemeldet, die das GASIM für verfassungswidrig halten. Um sich solcher Debatten in Bezug auf noch weitergehende Bundeswehreinsätze als bisher zu entledigen – von denen die allermeisten natürlich nichts mit armen ertrinkenden Seeleuten zu tun haben werden –, ist es selbstredend das bequemste, das Grundgesetz einfach zu ändern.

rvr

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