Kabarett on Tour

Deutschland hat’s schwer: Reformen statt einer aufrüttelnden Revolution, Bildungskatastrophen und hohe Arbeitslosenzahlen. Daran konnte auch die überaus erfolgreiche WM nichts ändern.

Dennoch: Einen äußerst geist- und witzreichen Abend erlebt das Publikum des Politik-Kabarett-Ensemble „Düsseldorfer Kommödchen“, das derzeit auf Gastspieltour in NRW unterwegs ist. Die Truppe nimmt in ihrem aktuellen Programm die deutsche politische Gesamtlage gnadenlos auf die Schippe und lässt dabei kaum ein Auge trocken. Die bsz hat’s getestet…
Die Rahmenhandlung: Ort des Geschehens ist die Mietwohnung des Kabarettisten und Klavierspielers Christian, der in zwei Stunden einen Auftritt vor den linken Metzgern zum Thema „Die große Koalition aus der Sicht einer Leberwurst“ wahrnehmen soll, welchem allerdings zu diesem Thema außer einem ersten Witz „Was ist der Unterschied zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und BSE? – BSE waren wir nach einem Jahr wieder los!“ so gar nichts einfallen will. Zudem fehlt ihm jegliche Ruhe zum Arbeiten, da ständig die verschiedenen Mietparteiern des Hauses in seine Wohnung platzten und sich über die Ungerechtigkeit des Lebens und Probleme der deutschen Wirtschaft, Kultur und Politik auslassen. Zu den ungebetenen Gästen gehören Christians Ex-Freundin Jana, 34, die mit ihm Schluss machte, da er beim Sex ständig Angela Merkel imitierte, ihren Job als Barkeeperin im „Happy Suicide“ verlor und sich nun zu einem ewigen Praktikantendasein verurteilt sieht, da sie außer einem Aushilfsjob in der Uni-Cafeteria nichts vorzuweisen hat; Isabelle, eine schrille vierfache Mutter, die keine Probleme sieht, Familie und Karriere erfolgreich unter einen Hut zu bekommen, solange man einfach „scheiß reich“ ist; der schwule, arrogante Elmar, der kreuz und quer um den Globus reist, um überall Mitarbeiter zu entlassen; Micha, der kritisiert, dass der Politik jegliche Leidenschaft fehlt; sowie die Versicherungsangestellten Manu und Klaus, die mit ihrer Anwesenheit die restlichen Nachbarn zu Tode langweilten.

Leidenschaftliche Politik

Und so platzt Micha, gerade als Christian begonnen hatte, seinen Auftrittstext zu schreiben, in dessen Wohnung und fordert mit der spontanen Liebeshymne à la italiana „Politik ist meine Leidenschaft: Ich will nicht Veronika/Renate, mich interessieren nur Mandate…“ keine emotionale Kälte, sondern stattdessen mehr Gefühle im Bundestag. Bald wendet sich das Gesprächthema jedoch von der Amore zum Krieg: „Wenn man heute den Fernseher einschaltet, weiß man einfach nicht, ob man gerade den Quatsch-Comedy-Club oder das Auslandsjournal sieht: Natürlich haben die Amerikaner kein Kriegsproblem. Sie mögen es nur nicht, wenn ihre Gegner bewaffnet sind…“ ereifert sich Micha gegenüber dem entnervten Christian. Alsbald fliegt abermals die Tür auf, und Elmar stößt zu ihnen: Es folgt eine erhitzte Diskussion über die zunehmende Bedeutung Chinas in Bezug auf die Weltwirtschaft. „Die Chinesen kennen kein Urheberrecht, sie kopieren einfach alles!“ erbost sich Micha. Doch der weit gereiste Elmar hat wie immer eine Lösung parat, und die Durchschlagskraft seiner Semantik verfehlte die Wirkung seiner Worte nicht im Geringsten: „Schick denen einfach unser Bildungs- und Gesundheitssystem, dann sind die weg vom Fenster!“

Deutsche Unarten

In der zweiten Hälfte dominieren die Nachbarn Klaus und Manu, die so langweilig sind, dass sie sich irgendwann zu Tode langweilen sollen. Damit die Situation nicht allzu langweilig wird, hält Christian einen Monolog über die Unarten der Deutschen, in Neuss eine Skihalle zu errichten, welche die Schweizer Alpen darstellen soll. „Die Schweizer errichten doch auch keine Halle, in der sie Neuss nachbauen!“
Und wenig später lernt das Publikum, dass man nach neuesten Erkenntnissen als „erotisch tot“ gilt, wenn man sich für teures Geld eine Sitzheizung für den PKW leistet, um sich und der Geliebten den Allerwertesten rösten zu lassen. Derweil unterbricht ein Unfall die hitzige Diskussion, denn der ängstliche Klaus erleidet einen Stromschlag beim Schminken, tritt kurzfristig aus dem Leben und hat eine strenge Unterredung mit Gott. Denn Klaus, der am 11. September 2001 heiratete und sich seitdem von Bin Laden verfolgt sieht, glaubt nicht, dass das Risiko, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, geringer sei als die Wahrscheinlichkeit von Lottogewinn und vom Blitz getroffen zu werden zusammen. „Denn welcher Terrorist hält sich an die Statistik?!“ Gott jedoch stand vor einem großen Problem: „Du hast weder Gutes noch Böses vollbracht. Du hast einfach gar nichts gemacht. Also musst du runter auf die Erde und richtig die Sau rauslassen…“ Hier wird das häufig passive Verhalten der Deutschen, das Leben zu beobachten, anstatt daran teilzunehmen, kritisiert: Denn nur in 25% der Haushalte wird selbst gekocht, jedoch boomen TV-Kochshows wie nie zuvor, und statt aktiv Kinder zu erziehen, sehen wir die Super-Nanny im TV. Â

Last but not least:

Am Ende des Stückes stellt sich heraus, dass Micha Christians einzigen Witz bereits erfolgreich bei Ebay versteigert hat, woraufhin Christian ihn aus seinem Programm streichen muss. Dies ist jedoch nicht weiter dramatisch, da durch den Erwerb des Witzes durch den Käufer die Große Koalition geplatzt ist und die Metzger somit an einem Beitrag über die „Große Koalition aus der Sicht einer Leberwurst“ nicht länger interessiert sind und stattdessen etwas Alltägliches hören wollen. Plötzlich kann Christian den vorangegangenen, unfreiwilligen Gesprächen mit den übrigen Mietparteiern doch etwas Positives abgewinnen und beginnt sofort, seinen Auftrittstext zu schreiben.

Kurz und knapp: Ein stimmiges, witziges Programm über aktuelle, gesellschaftliche Themen, gepaart mit Gesangseinlagen, das bei den Zuschauern so manchen Lacher und spontanen Applaus erntet. Und das Publikum ist sich einig: Das makabre Kabarettprogramm des Düsseldorfer Kommödchens steht für sich und lässt sich einfach in keine Schublade stecken.

jbö

Termine gibt‘s unter:
www.kommoedchen.de

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