Auf nach Afghanistan!
Über 200.000 überwiegend junge Menschen stehen begeistert und bester Laune an der Siegessäule in Berlin. Ist es die Loveparade? Nein, die Technoparty hat Berlin längst in Richtung Ruhrgebiet verlassen. Am 24. Juli feierte Berlin eine andere Party. Der designierte amerikanische Präsidentschaftskandidat Barack Obama war gekommen, um an die „historischen“ Reden von John F. Kennedy und Ronald Reagan anzuknüpfen. Doch welche Botschaften präsentierte der smarte Politiker, für den noch vor einem Jahr wohl nicht mehr als einige hundert Besucher nach Berlin gereist wären? Die Botschaft war überraschend offen und direkt: Auf nach Afghanistan!

„O-ba-ma“ und „Yes, we can“ schallte es aus dem Publikum, noch bevor der Star des Abends die Bühne betreten hat. Als er schließlich erscheint, werden die Rufe und der Jubel erkennbar lauter und der mögliche Nachfolger von George W. Bush kann sich sicher sein, heute nur wenig falsch machen zu können. Jedenfalls, wenn es um die Zuschauer vor Ort geht. Doch Obama weiß auch, dass seine auswärtigen Aktivitäten in der Heimat unter strenger Beobachtung stehen, insbesondere beim politischen Gegner. Wie verzückt man also das Bush-feindliche Publikum in Berlin, ohne unentschlossenen beziehungsweise konservativen Demokratinnen und Demokraten in Amerika vor den Kopf zu stoßen?

Charme und Witz

Obamas Stärken liegen zweifelsfrei in seinem Auftreten und seinen rhetorischen Fähigkeiten. In den USA konnte er damit die Herzen der Menschen gewinnen und avancierte so nicht nur zum designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei (und ließ die klare Favoritin Hillary Clinton hinter sich), sondern auch zum gefeierten Popstar. Diesen Hype transportierten auch die deutschen Medien. Amerikanische Zeitungen bemängelten nicht zu Unrecht, dass der Name seines republikanischen Mitbewerbers John McCain kaum in europäischen Meldungen auftaucht, Obama dagegen die Schlagzeilen dominiert. Doch können Symbole und Parolen der Veränderung und Hoffnung auch ZuhörerInnen begeistern, die die Politik der Bush-Regierung nicht hautnah miterlebt haben? Es scheint so. Zwar wirkt Obamas Rede in der Bundeshauptstadt stellenweise etwas gequält, doch die Rhetorik kommt an. Es entsteht gar der Eindruck, als sei der Inhalt heute völlig gleichgültig. Die Menschen sind gekommen, um den Senator aus Illinois zu feiern. Was er sagt, ist Nebensache.

Wind of Change

Der Präsidentschaftswahlkampf in Amerika ist seit eh und je ein weltweites Thema. Nicht selten wird der US-Präsident schließlich auch als „Führer der freien Welt“ bezeichnet. Die aggressive Außenpolitik George W. Bushs katapultierte den US-Wahlkampf noch stärker ins öffentliche Interesse Europas als zuvor. Was bereits 2004 bei John Kerry zu spüren war, ist heute noch viel klarer: der US-Präsident ist ein entscheidender Faktor europäischer Politik. Krisengebiete wie Afghanistan und der Irak sind mitnichten bloß ein amerikanisches Problem. Hunderttausende Menschen gingen gegen die Militärinterventionen der Bush-Regierung auf die Straße und machten deutlich, dass Amerikas Selbstverständnis als Hüter der Weltordnung nicht unumstritten ist. Europa will mitspielen. Gerade dieses Verlangen bedient Obama und stellt die Wichtigkeit Europas heraus, um sie im nächsten Moment gleich wieder den amerikanischen Plänen unterzuordnen. Während er die Truppen aus dem Irak lieber heute als morgen abziehen möchte, liegt ihm die militärische „Befriedung“ Afghanistans am Herzen und fordert Unterstützung ein, die ihm – bewertet man die Reaktionen des Berliner Publikums – in Deutschland auch bedingungslos gewährt wird.

Zwischen Hass und Verehrung

Das Verhältnis zwischen Europa und der USA ist mehr als schwierig. Laut der offiziellen Geschichtsschreibung, auf die auch im Zusammenhang mit dem Obama-Besuch immer wieder Bezug genommen wurde, haben die Deutschen die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg als Befreier begrüßt. Als wichtigster Partner des westdeutschen Staates wurde das Bündnis mit den USA immer wichtiger. In Ostdeutschland wurde dagegen ein staatlich verordneter Antiamerikanismus in den Schulbüchern und Massenmedien verbreitet, der direkt an die Ressentiments gegen die „bösen Besatzer“ anknüpfte. Allen Beteuerungen der deutsch-amerikanischen Freundschaft und echter Amerika-Begeisterung zum Trotz hielten sich auch im Westen ähnliche Ressentiments. Außenpolitische Fehltritte wie der Krieg in Vietnam sorgten für den inhaltlichen Unterbau dieser Entfernung von Amerikas Weltbild. Ihren Höhepunkt erreichte diese Distanz durch George W. Bush, der nahezu alles repräsentiert, was Europa an Amerika nicht schätzt: Arroganz, Konservatismus, religiösen Fanatismus und eine Vorliebe für militärische Lösungen. Doch gerade diese überdeutliche Herausstellung der Unterschiede zeigt auch Gemeinsamkeiten auf. Trotz dieser eklatanten Unterschiede ist Europa kulturell und politisch eng mit Amerika verbunden. Die gemeinsamen Wurzeln sind schwer zu leugnen, und so steigt die Sehnsucht nach Zusammenarbeit und Akzeptanz gerade dann, wenn sie mit Füßen getreten wird. Diese Sehnsucht kann Obama für sich nutzen und demonstrierte dies eindrucksvoll in Berlin. Hätte Bush militärische Unterstützung Europas gefordert, das Publikum hätte ihn wütend ausgepfiffen. Doch Obama, der die Sehnsüchte Europas nach einem guten Freund Amerika zu erfüllen scheint, kehrt als gefeierter Star in die Heimat zurück.

Trotzdem kann ein demokratischer Präsident namens Barack Obama ein großer Gewinn für die Weltpolitik sein. Aber das ist nur möglich, wenn er als eigenständiger Politiker kritisch begleitet wird. Als reine Projektion dessen, was George W. Bush nicht darstellt, wird er die Probleme unserer Zeit nicht angehen können. Im Wahlkampf ist genau das allerdings sein Kapital.
jk

0 comments

You must be logged in to post a comment.