Ganz im Sinne des Ehrencodizes der bsz „Immer janz dicht dran und knallhacht nachjefracht“ wird es auch für uns Zeit, das meistverkaufte Buch des Jahres 2006 in Deutschland zu rezensieren. Was wäre wahrscheinlicher für diesen Titel, als eine Kombination aus römisch-katholischer Kirche und eines Komödianten aus dem Ruhrpott?

Hape Kerkeling begab sich im Jahr 2001 auf Pilgerreise auf den Jakobsweg und schrieb darüber das Buch „Ich bin dann mal weg“.
Für alle Ungläubigen vorweg eine kleine Nachhilfestunde in Sachen katholische Riten: Der Jakobsweg soll zum Grab des gleichnamigen Apostels führen der der Legende nach in Spanien missionierte (zuvor pilgerte er die grob bemessenen 4.000 km vom heutigen Israel auf die iberische Halbinsel). Im Mittelalter war der Weg nordspanische Verkehrsachse und gehört seit seiner Wiederbelebung in der zweiten Häfte des zwanzigsten Jahrhunderts zum Weltkulturerbe der UNESCO. Der etwa 600 km lange Weg führt von den französischen Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Pilger von etwa 55.000 auf einen Höchstwert von 180.000. Im Jahr 2004 wurden ca. 100.000 im letzten Jahr gestiegen. Ausgelöst durch Bestsellerautoren wie Paulo Coelho und den umstrittenen Bericht von Shirley McLaine und nun auch Hape Kerkeling erlebt der Weg einen Boom. Ob es einfach nur schick geworden ist, die Bücher die Massen erst informierten, Wandern als Trendsport immer beliebter wird, Menschen sich auf Identitätssuche von ihm Erleuchtung, Gott oder einfach nur Ruhe und schöne Landschaften erhoffen – die Gründe sind so vielfältig wie die Pilgerzahlen.

Pilgern lesen?
Worin besteht also der Sinn das Pilgertagebuch zu lesen? Zuallererst ist es „a good read“. Wie von Hape Kerkeling erwartet, geht er nicht ohne seinen Humor an die Sache heran. Zwischen Selbstironie, komischen Anekdoten und Kuriositäten können sich nur Wenige dem ein oder anderen herzhaften Lacher entziehen. Das Lesen ist durchaus unterhaltsam. Durch die Popularität seiner Figur „Horst Schlämmer“ konnte er das Interesse an seinem Buch sicherlich steigern, dennoch dürfte der Spaßfaktor nicht der alleinige Grund für den Erfolg sein. Die Neugierde auf die Privatperson und Pilger Kerkeling spielen sicherlich ebenfalls eine Rolle. Der Recklinghäuser machte sich auf den Weg auf der Suche nach Gott und zuerst sich selbst. Seinen Gott sieht der „Buddhist mit christlichem Unterbau“ dabei jenseits der Kirche und betont, dass jene Christen Veränderungen in sich nicht erfahren werden. Der moralische Zeigefinger fehlt glücklicherweise in diesem Buch ebenso wie allzuviel religiöser Pathos. Seine Gefährten sind dann auch eher die schrägen Vögel, welche neben lustigen und skurrilen Begebenheiten auch die dunklen Seiten des Jakobsweges auftauchen lassen: sexuelle Belästigung, unwürdige Behandlung von Tieren und Almosenempfängern. Dreckige, überfüllte, wenn auch kostenlose, Pilgerunterkünfte meidet Kerkeling dank seiner finanziellen Möglichkeiten und geht damit, ebenso wie mit seiner sexuellen Orientierung, erfreulich natürlich um ohne es gekünstelt hervorzuheben. In dieser Offenheit liegt die Stärke seines Buches, sei es in peinlichen, aber auch tiefsinnigen Momenten. Sein Reinkarnationsglaube findet Platz und erzeugt teilweise eine hochgezogene Augenbraue beim Lesen. Außerdem wird die tägliche Berichterstattung teilweise etwas langatmig, was jedoch bei einem Pilgertagebuch schwerlich vermeidbar gewesen wäre.
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„Hömma, Schätzelein, weisse Bescheid!“
 „Ich bin dann mal weg.“ Von Hape Kerkeling ist ein Buch für alle, die sich mit Identitätssuche, Spaß am Wandern, Religiösität oder natürlich dem Autor selbst identifizieren können oder zumindest eine gewissen Neugierde besitzen.

Hape Kerkeling
Ich bin dann mal weg
Mai 2006, Piper Malik Verlag, Gebunden
Preis 19,90 Euro, ISBN: 9783890293127

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