In weniger als zwei Wochen ist es soweit und die StaatschefInnen der acht mächtigsten Wirtschaftsnationen treffen sich in Heiligendamm zum G8-Gipfel. Auch tausende GegnerInnen des Gipfels bereiten sich auf den Gipfel vor. In Rostock haben sie für den 2. Juni eine Massendemonstration organisiert, um den G8 deutlich zu zeigen, dass ihr Treffen illegitim ist. Für die darauf folgende Woche ist ein Gegengipfel mit zahlreichen Konzerten, Workshops und Veranstaltungen geplant.

Die AktivistInnen der Kampagne „Block G8“ organisieren außerdem Massenblockaden. „Wir werden die Zufahrtsstraßen zum abgelegenen Tagungsort besetzen und blockieren, die der Tross von DiplomatInnen, ÜbersetzerInnen und Versorgungsfahrzeugen passieren muss, um nach Heiligendamm zu gelangen.“, erklären sie. Dieser Akt zivilen Ungehorsams ist völlig harmlos – besonders, da die negativen Folgen der auf den Gipfeltreffen diskutierten Pläne Millionen Menschen in soziale oder existenzielle Not zwingen.
Exekutionen und Knieschüsse

Der Verfassungsschutz, die Polizei sowie viele PolitikerInnen und Medien halten die G8-GegnerInnen anscheinend für höchst gefährlich. Das bevorstehende Gipfeltreffen und auch die Debatte um die Begnadigung des RAF-Mitglieds Christian Klar haben eine breite Diskussion darüber entfacht, ob linke Kräfte gewaltbereiter werden und wie militantem Protest zu begegnen ist. Die Bild Zeitung schreibt: „Im Klartext: Der Verfassungsschutz schließt Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus! In der Szene würden bereits Aktionen gegen „Handlanger und Profiteure des Systems“ diskutiert („Knieschüsse“, „Exekutionen“).“ Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz., erklärte allerdings wenig später, Spekulationen über einen neuen RAF-Terrorismus seien „völlig gegenstandslos“. Vielmehr habe er „ein paar sehr zugespitzte Überschriften“ in der Presse gelesen. Trotzdem hat die Bundesanwaltschaft angeordnet, einen Monat vor den Protesten gegen G8 die Wohnungen und Büros von Menschen durchsuchen zu lassen, die gegen den Gipfel demonstrieren wollen. Insgesamt 900 BeamtInnen waren während der Razzia im Einsatz. Die Bundesanwaltschaft wollte „offenbar die Daumenschrauben anziehen, um dem Gipfel ein ruhiges Hinterland zu bescheren“, erklärten SprecherInnen der Linksfraktion. Nach der Razzia gab es in vielen Städten Protestaktionen gegen die Durchsuchungen, die vor allem dem Zweck dienten, DemonstrantInnen von Heiligendamm fernzuhalten.

Peilsender und Brandanschläge

Nach der Razzia fand ein Aktivist einen GPS-Peilsender an seinem Auto. Der Berliner ist im Autorenkollektiv „AG Grauwacke“ aktiv und angeblich an der „Militanten Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel“ beteiligt. Nachweisen konnte ihm die Polizei bisher nichts. „Ich sehe es als ein Zeichen leiser Verzweiflung der Verfolgungsbehörden an, wenn sie meinen, durch Satellitenpeilung der geheimen Verschwörung zum Schreiben eines Buches auf die Spur kommen zu müssen.“ Am 15. Mai haben drei Menschen einen Brandanschlag auf ein Berliner Gebäude des CDU-nahen Studentenverbands RCDS verübt. Obwohl von einem Bekennerschreiben nichts bekannt ist, in dem ein Zusammenhang zwischen der Tat und den Protesten gegen die G8 klar wird, stellt der RCDS diesen Zusammenhang her. „Die angeblich friedliche Protestbewegung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm wirft rußige Schatten voraus.“, meint der Bundesvorsitzende des RCDS Matthias Kutsch. Die „linksradikale Szene instrumentalisiert das Großereignis in Heiligendamm für eine umfangreiche Neustrukturierung“, behauptet er. Darunter fallen für ihn nicht nur Gruppen, die sich zu militanten Aktionsformen bekennen. Auch den jüngst gegründeten Linkspartei-nahen Studierendenverband Die Linke.SDS sowie den neuen Jugendverband Linksjugend [‘solid] hält er für gefährlich. „Die Programmschriften beider sind das Werk geistiger Brandstifter.“, findet Kutsch. Kutsch stört sich anscheinend an dem Anspruch von jungen, linkspolitisch organisierten AktivistInnen, die Gesellschaft durch die Beteiligung an sozialen Bewegungen verändern zu wollen. Dass sowohl die beiden Verbände der neuen Linken als auch die große Überzahl der G8-GegnerInnen, unter denen sich etwa die Grüne Jugend, attac und viele linke Hochschullisten befinden, einfach nur friedlich ein Zeichen gegen die Illegitimität des Gipfeltreffens setzen wollen, stört ihn und andere Konservative wenig. Mindestens bis zum G8-Gipfel wird die Debatte also weitergehen.

Sarah Nagel
Bundessprecherin des
Jugendverbands Linksjugend [‘solid]

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