bsz: Wie war das gesellschaftliche Ansehen eines Studierenden vor den ´68ern? Galten Studierende als „Elite“?

Link: Ich war ´68 bereits kein Student mehr, sondern Assistent in der Neueren deutschen Literatur. Der Begriff der „Elite“ spielte nach meiner Erinnerung keine besondere Rolle, wohl aber die Sache: Es gab einen scharfen Siebungsprozess, der schon in der „Volksschule“ anfing und sich über die weiteren Schulhierarchien und dann nach dem Abi fortsetzte. „Mädchen“ nicht nur der unteren Klassen wurden noch häufig ausgesiebt, weil sie „ja sowieso heiraten“ würden. Eine schrittweise Verbesserung war allerdings schon vor ´68 in Gang gekommen („Honnef“: Vorläufer des BAföG), Zunahme von Studis „unterer Klassen“ und von weiblichen Studis, was aber ein Überfüllungsproblem mit sich brachte. Für all‘ dies war Bochum besonders exemplarisch. Resümee: Der damalige Trend war anti-elitär; es ging darum, das Recht auch auf höhere Bildung möglichst zu demokratisieren. All‘ das bekam dann mit ´68 einen ungeheuren zusätzlichen Schub und führte endlich auch zur dringend notwendigen Neugründung vieler Universitäten (darunter alle Ruhrgebietsunis). Völlig klar war damals, dass (auch höhere) Bildung ein Menschenrecht und die Unis ein kollektiver Besitz seien, das beziehungsweise die vorzugsweise aus Steuergeldern (also aus dem Gemeinbesitz) zu finanzieren wäre(n). Die heutige Vorstellung, Bildung sei ein idealiter privat zu produzierendes Service-Produkt, das auf „Märkten“ unter Konkurrenzdruck mit maximaler Rendite gehandelt werden müsse, wobei dann eine kleine Elite mit Spitzenrendite herauskäme, hätte damals vermutlich nicht mal ein FDP-Politiker kapiert.

bsz: Wie veränderte sich die Reputation der Studierenden durch ´68 und welchen Blick hatte die Gesellschaft danach auf Studierende?

Link: Naja: Was ist „die“ Gesellschaft? Die berüchtigte Springerpresse hatte den berüchtigten sehr negativen Blick auf „die“ Studenten, womit die marxistisch-politisch bewegten Studis gemeint waren. Darüber hinaus fing die verbreitete Angst an, dass die Politisierung das Niveau senken und vor allem eine „Technikfeindschaft“ hervorrufen würde. Nach meiner eigenen Erfahrung kam etwa die Tatsache, dass von den nun zahlreicheren Studentinnen nur eine Minderheit in die „hard sciences“ ging, keineswegs vom Marxismus, sondern eben von der bürgerlichen Tradition. Was die Kulturwissenschaften betrifft, so gab es hier und da eine wissensschädliche Politisierung, aber hauptsächlich führte die Politisierung zur Öffnung für vorher in Deutschland (in der Nazi- und noch Adenauerzeit) unbekannte, wichtige neue theoretische Richtungen, wie zum Beispiel den Strukturalismus. Das „´68er-Denken“ war ungeheuer kreativ, vielfältig und innovativ, und die folgenden Jahrzehnte haben davon gezehrt. Ich sehe eher heute, wo es langsam eliminiert ist, das Risiko von Langeweile und Niveauverlust (natürlich auch schon wegen der BA-Kurzstudiengänge).

bsz: Gab es häufig auch Freizeit-„Cliquen“, die sich aus Studierenden und Nicht-Studierenden zusammensetzten? Womit hat man/frau damals hauptsächlich seine/ihre Freizeit verbracht?
Link: Die erste Zeit gab es noch eine sehr lebendige Kinokultur (in Bochum einen legendären Filmclub), die erst allmählich vom TV zurückgedrängt wurde. Sport und Musik. Auch eine Art Schrebergartenkultur mit Klassenmischung. In Bochum war der Anteil von Arbeiterkindern tatsächlich höher als anderswo, was Bekanntenkreise mit Klassenmischung möglich machte – trotzdem waren es insgesamt Ausnahmen.

bsz: Wie sah ein Date aus?
Link: Ein „Date“ gab es noch nicht, obwohl der Einfluss der us-amerikanischen Mainstream- wie auch der „Counterculture“ schon seit den 50er Jahren enorm war. Typisch war vermutlich, dass Männlein und Weiblein (und dann im Laufe von ´68 auch offen Schwule und Lesben) sich in größeren Gruppen, sowohl uni-basierten (´68 führte Gruppenarbeiten ein) sowie politischen (wie „Musikfandoms“), kennen lernten, sich zu einer Gelegenheit einluden und mit nach Hause nahmen.

bsz: Beatles oder Stones?
Link: Beides und viel mehr.

bsz: Wie groß war schätzungsweise der Anteil jener Studierender, die während dieser Zeit nichts mit der „Studierendenbewegung“ zu tun hatten oder haben wollten und einfach nur weiterstudierten?
Link: Eine „Studierendenbewegung“ gab es nicht, weil die Sache mit den politisch korrekten Bezeichnungen erst viel später aufkam, ausgehend von einer bestimmten feministischen Tendenz in den USA. Grob gesagt (bestimmt gibt es auch genaue Statistiken, die ich nicht im Kopf habe), war die Politisierung am stärksten in den Kulturwissenschaften (besonders Soziologie, Psychologie, Literatur, Philosophie, Theologie), am schwächsten in den hard sciences, mittelmäßig in Disziplinen wie Jus und Medizin.

bsz: Wie würden Sie den „Standard-Studierenden“ im Jahre 1968 an der Ruhr-Uni beschreiben?
Link: Gab es noch nicht. „Standardisierung“ des Wissens und des Studiums ist erst eine neue Errungenschaft von „Barbartelsmann“ und Co. mit ihrem Bolognaprozess und den Modulen und Credit Points und Work-loads und all‘ diesen für wirkliches Wissen völlig absurden Fabrik-Kategorien. Damals gab es viel Individualisierung und sehr verschiedene Studienformen. Tatsächlich gab es das Problem der Studienabbrüche (teils wegen der Überfüllungsproblematik). Man muss aber sehen, dass die meisten Abbrecher in eine bezahlte Tätigkeit hinein, oft in einen lebenslangen Beruf hinein abbrachen. Heute gibt es stattdessen mit dem BA einen „diplomierten Studienabbruch“. Dass das Studium damals im Schnitt länger als 6 oder 8 Semester dauerte, hatte hauptsächlich positive Folgen: größere Breite und Tiefe des Wissens. Gegen Missverständnisse: Ich will die „Massen-Probleme“ nicht klein reden. Aber wir haben etwa in der Zeitschrift „kultuRRevolution“ viele Beiträge gebracht, wie man Wissen besser und intensiver verbreiten kann, ohne es mit „Standardisierung“ total totzuschlagen.

bsz: War die RUB für Sie ein inspirierendes Umfeld?
Link: Auf jeden Fall!

bsz: Wird die Zeit der ´68er (vielleicht zu sehr) glorifiziert? Wie fällt Ihr persönlicher Rückblick auf ´68 aus?
Link: Ich will dazu nur ein Paradox erwähnen: In den Gedächtnissendungen im Fernsehen sagte der Historiker Götz Aly (ein typischer „Konverter“, Konvertit von ´68 zur Normalität, wie es in meinem Roman heißt), ´68 werde als historisches Ereignis total überschätzt, es habe sehr wenig Bedeutung gehabt. Er hätte aber nicht in der TV-Runde gesessen, wenn er nicht durch das Anti-´68-Pamphlet „Unser Kampf“ Aufsehen erregt hätte, in dem er die These vertritt, ´68 sei eine linke, allerdings gottseidank gescheiterte, Neuauflage der Nazi-Studentenbewegung gewesen. So what?

bsz: Was haben wir alle heute davon, dass die ´68er waren, wie sie waren?
Link: Ehrlich gesagt, scheint mir der Medienhype 2008 (40 Jahre), der 1998 und 1988 klar schlägt, ein Symptom dafür, dass ´68 von unseren „Eliten“ nun endlich (großes Aufatmen!) für mausetot gehalten wird. Insbesondere glauben diese Eliten, dass die Diskreditierung dieses Ereignisses bei der Jugend endlich voll gelungen ist: „Diese scheiß ´68er-Lehrer und Profs, die uns alles Große vermiest haben: Technik und Rendite und Powerfrau und Spitzenleistung und Deutschland.“ Ich glaube, dass Ihr also gar nicht mehr viel von „uns“ habt; ob das gut ist, müsst Ihr selber entscheiden.

bsz: Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!

eRe, USch

Wer sich ein Bild von Jürgen Links Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee“ (Asso-Verlag 2008) machen möchte, kann dies bei einer Autorenlesung am Dienstag, den 8. Juli 2008, ab 19.30 Uhr in der Heinrich-Heine-Buchhandlung am Viehhofer Platz 8 in Essen tun.

Die von Jürgen Link herausgegebene Zeitschrift kultuRRevolution erscheint im Essener klartext verlag.
http://zeitschrift.kulturrevolution.de/

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