„Wer nicht weiter weiß, schlägt halt drauf!“

Gewalt zwischen Jugendlichen ist ein Dauerthema. Ob Mobbing oder Handgreiflichkeiten – Politiker, Sozialarbeiter und Lehrer diskutieren seit Jahren über Präventionsmöglichkeiten.

Auch wenn es nicht immer „Rütli” ist – Unterdrückungsformen kennen fast alle Jugendlichen. Die bsz lud vier von ihnen zu einer etwas anderen Diskussionsrunde ein. Die Ex-Hauptschüler Thomas Lücking (19) und Dennis Kemper (24) sowie Carolin Höher und Dustin Creefeld (beide 19), beide Gymnasiasten, hatten viel zu erzählen.
Opfer- und
Täterverhalten
„Zum Thema Gewalt an Schulen kann ich eine Menge beitragen, sowohl aus der Opfer- als auch aus der Täterperspektive.“ Dennis Kemper geht gleich in der Vorstellungsrunde unserer Diskussion in die Vollen. Kein Wunder, denn es ist „sein“ Thema. Der 24-Jährige hat insgesamt fünf Hauptschulen in verschiedenen Bundesländern besucht. Mehrmals wurde er nach diversen Vergehen von der Schule verwiesen. „Ich war kurz Opfer und dann ganz lange Täter”, so Kemper. „So sieht der Weg in die Gewaltspirale meistens aus.“ Dennis will seine Erfahrungen weitergeben: Nachdem er sich über den zweiten Bildungsweg qualifizierte, studiert er seit zwei Semestern „Soziale Arbeit“ an der FH in Dortmund.
Für Dustin Crefeld ging der Schulweg ähnlich steil – aber schulisch meist nach oben. Der „Streitschlichter der ersten Generation“ (Dustin über Dustin) und Sprecher der Jahrgangsstufe 13 am Schwerter Ruhrtal-Gymnasium hat dennoch in seinen Schulfunktionen viele Facetten von Gewalt erlebt. „Ingesamt überwiegt am Gymnasium die psychische Gewalt, auch wenn in letzter Zeit ein kleiner Wandel zu Schlägereien zu verzeichnen ist.“ Das sieht auch Carolin Höher so. Die 19-Jährige besucht das Schwerter Friedrich-Bährens-Gymnasium (FBG). „In der siebten und achten Klasse wurde extrem viel gemobbt – vor allem unter den Mädchen.“ Das „zarte Geschlecht“ sei Urheber ganzer Hetzkampagnen gewesen: „Die Jungs haben dann natürlich mitgemacht, weil sie cool sein wollten für die Mädchen“. Heftiger noch ging es in ihrer Grundschule zu. „Ich ging in einer eher unterprivilegierten Gegend auf eine Grundschule, wo ungefähr die Hälfte der Leute auf der Hauptschule gelandet sind.“ Dort seien diese auch nicht lange geblieben – nach diversen Schlägereien. „Alle, die etwas schlauer waren, wurden sowieso immer verprügelt – dazu gehörte dann auch ich.“
Gewalt in
jeder Pause
 Solche Szenen waren für Thomas Lücking alltägliches Bild – bis vor einem Jahr besuchte er noch eine Bochumer Hauptschule. „Gewalt sah man in jeder Pause”, erzählt er. „Die Größeren schlagen eben die Kleineren.” Crefeld hakt ein: „Vor allem die Schlaueren werden verhöhnt”. Dennis macht ihm keine Hoffnung: „Das wird auch später an der Uni nicht besser.”
„Die Ursachen sind schwer erkennbar“, findet Dustin. Er sieht am ehesten in der für Teenager typischen Grüppchenbildung Gründe. „Wenn jemand in bestehende Gruppen hineinkommt, wird er meist sofort ausgegrenzt.“ Wer das nicht akzeptiere, werde eben dazu gezwungen. Ähnliches hat auch Dennis erlebt: „Erstmal will jeder selbst zeigen, dass er der Stärkste ist – und dann will die Gruppe auch noch nach außen hin klarstellen, dass sie die Größten sind.“ Thomas fasst zusammen: „Wenn manche halt nicht weiter wissen, schlagen sie halt drauf.“ Problem erkannt, Problem gebannt? Die vier haben einige Verbesserungsvorschläge. „Ich würde versuchen, die Hauptschule nicht mehr als Sammelbecken für den ,sozialen Abschaum‘ zu betrachten“, sagt Carolin.
Lösungen?
Hier müssten Lehrer mehr auch als Sozialarbeiter ausgebildet werden. „Auch die ,unterste‘ Schule sollte schließlich Bildungsanstalt sein, auch wenn nicht jeder danach studieren geht.“ Dafür bräuchte es Menschen, die es verstünden, auch frustrierte Jugendliche zu motivieren.
Dennis plädiert aus eigener Erfahrung dafür, dass dreigleisige Schulsystem komplett abzuschaffen. „Es kann nicht sein, dass alle Leute, die tendenziell eher gewaltbereit sind, auf einen Haufen zusammen geworfen werden.“ Es falle auf, dass in allen gemeinschaftlichen Schulsystemen in der Regel weniger Gewalt herrsche. „In Gesamtschulen etwa ist die Gewalt in der Regel weit unter‘m Schnitt.“
Thomas wäre „im Nachhinein viel lieber zur Realschule gegangen.“ Dort höre man schließlich viel weniger von körperlicher Gewalt. „Mobbing hin- oder her – wer Angst vor Schlägereien haben muss, könnte das eher ertragen.“ Er betont: „Die Gewalt war an meiner Schule immer da – die kriegt man auch durch gut gemeinte Aktionen nicht ganz raus.“
Die Mittel eines Streitschlichters gehen da nicht weit genug, betont Dustin. Im Endeffekt werde auch hier viel Flickschusterei betrieben. „Das Schulsystem müsste komplett umgekrempelt werden.“ Sonst werde auch das Ruhrgebiet schnell von Zuständen á la Rütli eingeholt. „Im Vergleich zu solchen Verhältnissen sind wir schließlich noch eine heilige Kuh.“

bp
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