Die Grand Theft Auto-Reihe zählt mit inzwischen über 70 Millionen verkauften Kopien zu den erfolgreichsten Videospielmarken der Welt. Bekannt ist die Reihe in erster Linie für ihre Darstellung von Kriminalität, Sex und Gewalt. Im Zeitalter von Gewaltfilmen, einem stetig wachsenden Markt für Internetpornografie und einem Verfall allgemeingültiger Werte also eine tolle Möglichkeit, um auf Kosten der Gesellschaft schnelles Geld zu machen. So sehen es jedenfalls zahlreiche Politiker in aller Welt. Doch hinter GTA steckt mehr als stumpfe Gewalt und liebloser Sex. Hinter Macho-Gehabe, leichten Mädchen und unzähligen Schießeisen verbirgt sich eine zynische Satire, die der (amerikanischen) Gesellschaft den Spiegel vorhält und den täglichen Wahnsinn zum Teil stark überzeichnet.

„Where the American Dream goes to die”

Als Niko Bellic, einem desillusionierten und gefühlskalten Einwanderer aus Serbien, erlebt Ihr in Liberty City (einer Parodie auf New York City) nicht den Amerikanischen Traum, sondern die harte und grauenvolle Realität eines mittellosen Immigranten, der – gezeichnet vom Krieg in seiner Heimat – sofort im kriminellen Morast der Stadt versinkt. Diebstähle, Auftragsmorde und terroristische Anschläge – so gestaltet sich der Arbeitsalltag des Neu-Amerikaners, der seiner neuen Heimat jedoch nur wenig abgewinnen kann. In ungekannter ästhetischer Feinheit wird Gewalt in all seinen Facetten dargestellt. Dan Houser – kreativer Kopf hinter Grand Theft Auto IV – will so das Amerika persiflieren, das wir aus „Nachrichten, Fernsehserien und Filmen“ kennen, „nicht das echte Amerika“. GTA IV könnte so als Feldzug gegen die konservative Medienlandschaft der USA verstanden werden, die Gewalt in detailverliebter Blutrünstigkeit zeigt, gleichzeitig jedoch als oberlehrerhafte Moralinstanz auftritt. Besonders der rechts-populistische Nachrichtensender „Fox News“ wird gehörig auf die Schippe genommen. So tritt im Spiel der Sender „Weazel News“ immer wieder durch die Verbreitung von ausländer- und schwulenfeindlichen Parolen auf. Doch auch andere Institutionen und Gruppen geraten auf diese Weise ins Visier der VideospielsatirikerInnen. Das ganze Spiel ist gespickt mit Wortspielen, Andeutungen und direkten Provokationen. Kein Wunder also, dass gerade die konservative Presse wie auf Kommando auf Rockstar Games (so der Name des Entwicklerstudios) losgeht. Seit Jahren gibt es Bemühungen, die Spielereihe zu verbieten. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Unterhaltung und Politik (darunter auch Hillary Clinton) gehen aus Sorge um die Jugend gegen GTA vor und liefern dem Entwicklerstudio somit bloß wieder Futter für seine Kritik. Die Doppelmoral amerikanischer Medien und PolitikerInnen soll entlarvt werden. Während eine Verschärfung der Waffengesetze noch immer auf großen Widerstand stößt, können sich die VideospielgegnerInnen einer mächtigen Lobby sicher sein.

Ein Kreislauf der Gewalt

Doch kann man die Doppelmoral, die in GTA kritisiert wird, nicht auch den MacherInnen selbst vorwerfen? Schließlich bedient man mit dem Titel nicht bloß die SpielerInnen, die sich der satirischen Perspektive bewusst sind, sondern gerade auch junge Menschen, die – aufgeladen durch Gewalt in Film und Fernsehen – diese unreflektiert aufnehmen und im Anschluss vielleicht auch in den Alltag tragen. Diese Problematik ist nur schwer aufzulösen und wirft wieder allgemein die Frage nach der Verantwortung von KünstlerInnen für ihre Werke auf. Gerade wenn ein Produkt von solch immenser kommerzieller Bedeutung ist, werden die Rufe derer laut, die den MacherInnen die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens absprechen. Bei einem Projekt wie GTA IV, das in der Entwicklung etwa 100 Millionen Dollar verschlungen hat und dessen Erfolg über hunderte Arbeitsplätze entscheidet, ist es besonders schwierig, Rockstar Games keine kalkulierte Doppelmoral vorzuwerfen. Doch ein Blick in die Vergangenheit der Serie zeigt, dass die satirische Perspektive nicht durch den Erfolg kam, sondern der beispiellose Erfolg maßgeblich der massiven Gesellschaftskritik zu verdanken ist. Zahlreiche Firmen bemühten sich in den letzten Jahren, den Erfolg von GTA zu kopieren – ohne Erfolg. Die Produktionskosten konnten zwar in den meisten Fällen übertroffen werden, eine ernsthafte Konkurrenz gab es jedoch nie. Die Botschaft kommt an! Dieser Meinung ist auch Dan Houser und kann sich inzwischen auch zahlreicher FürsprecherInnen außerhalb der gewohnten Klientel erfreuen. So berichtete die „New York Times“ unter der Rubrik „Kunst“ über Grand Theft Auto IV und gewährt somit einem Videospiel einen Platz zwischen etablierten Kunstformen. Auf die Frage, ob er GTA selbst als Kunst ansehe, antwortet Dan Houser lässig „Wen kümmert das?“ und gibt sich (künstlerisch) bescheiden.

Gefahr für die Jugend?

Trotz aller Satire enthält Grand Theft Auto IV aber auch schlicht und einfach ein extremes (für viele Menschen: ein unerträgliches) Maß an Gewalt und gehört somit keinesfalls in Kinderhände. Die (inzwischen gar nicht mehr so junge) Videospielindustrie hat sich schon längst der Tatsache angepasst, dass Spielen nicht bloß Kindersache ist, sondern alle Altersstufen vor PC und Konsole ihre Zeit verbringen. Daran müssen sich „etablierte“ Medien und zahlreiche PolitikerInnen erst gewöhnen. Wichtiger ist jedoch, dass sich Eltern dem schwierigen Thema Computer- und Videospiele stellen und die Erziehung nicht Fernsehen, Internet und Spielen überlassen. Nur eine aufgeklärte Gesellschaft kann souverän auf mediale Gewalt beziehungsweise Gewalt als Kunstform reagieren.

Wer mindestens volljährig ist, kann Grand Theft Auto IV seit letzter Woche Dienstag wahlweise für die Xbox 360 oder die PlayStation 3 beim Videospielehändler seines Vertrauens erwerben.
jk

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