Kommentar
von Hanno Jentzsch

Die Olympischen Spiele in Peking werfen lange politische Schatten – besonders auf die Situation der tibetischen Bevölkerung. Selten geriet der Kampf der Tibeter um mehr Unabhängigkeit so sehr in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit. Die Berichte von der Niederschlagung der Aufstände bringen den TibeterInnen breite internationale Sympathie und sorgen gleichzeitig dafür, das ohnehin angekratzte Image Chinas weiter zu untergraben. Trotz der berechtigten Empörung über das chinesische Vorgehen erscheint es aber inzwischen angebracht, vor einer Überhitzung der antichinesischen Ressentiments im so genannten Westen zu warnen. Viele ChinesInnen fühlen sich zunehmend von den Reaktionen auf ihr Land vor den Kopf gestoßen. Wie bei unserem Interviewpartner hat sich in China die Meinung durchgesetzt, dass amerikanische und europäische Medien das Land unfair und oberflächlich beurteilen. Vor allem letztere Einschätzung ist dabei tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Das Problem an dieser Entwicklung ist, dass die chinesische Führung den verletzten Nationalstolz der Bevölkerung weidlich für eigene Zwecke auszunutzen versteht und das Gefühl der Demütigung durch den Westen gezielt schürt. Nur zu gern stellt die Kommunistische Partei westliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden als Abwehrreaktionen auf ein schnell wachsendes China dar. Schon seit längerer Zeit hat Patriotismus die Position einer Staatsideologie eingenommen, die nicht zuletzt dafür sorgen soll, die Bevölkerung emotional hinter der Partei zu versammeln. Eine überhitzte Chinafeindlichkeit nutzt also weder den TibeterInnen, noch schadet sie der chinesischen Führung – sie sorgt nur für eine zunehmende Abkehr der Bevölkerung vom Westen. In deutschen Internetforen und Leserbriefen bricht sich eine zum Teil erschreckend selbstzufriedene Abscheu vor dem „totalitären“ China Bahn. Das Schüren solcherlei Ressentiments ist indes eine Methode, die man getrost dem chinesischen Propaganda-Apparat überlassen sollte.

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