Von vielen Studierenden aufgrund des Beginns der Semesterferien nicht beachtet, erreichten harsche Islamismus-Vorwürfe den Studiengang Orientalistik/Islamwissenschaften der RUB. Die Berichterstattung legt nahe, dass es den Verantwortlichen eher an Panikmache denn seriöser und zielführender Kritik gelegen ist. Dies ist umso tragischer, da die Thematik an sich Aufmerksamkeit bedarf und nicht in einem Mahlstrom aus Generalverdächtigungen und Polemik untergehen sollte.

Der Bochumer SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel hatte jüngst davor gewarnt, dass die RUB und insbesondere der Studiengang Orientalistik/Islamwissenschaften sich zu einem Anziehungspunkt für das salafistische Milieu entwickeln. Laut Yüksel würden SalafistInnen die RUB „unterwandern“ und um neue RekrutInnen werben, einige Studiengänge seien inzwischen gar von ihnen „überlaufen“. Starker Tobak. WAZ-Redakteur Onkelbach schlug daraufhin einen Bogen zu den „Todespiloten“ des 11. Septembers sowie „Gotteskriegern“ und wusste von Mobbing und Diskriminierung zu berichten.

Verzerrte Perspektive

Im Zuge der Debatte ging – wie oftmals im Umgang mit dem Thema Islamismus – eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema unter. Im öffentlichen Diskurs werden die Begriffe „Islamismus“, „Salafismus“ und „Jihadismus“ kaum voneinander abgegrenzt; im Gegenteil, das Bedrohungsszenario von bärtigen und Kaftan-tragenden Fundamentalisten wird in aller Regelmäßigkeit neu aufgewärmt und unkritisch wiedergekäut. Dies bedeutet mitnichten, dass islamistischen, salafistischen und jihadistischen Strömungen keine Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass die RUB auch von IslamistInnen frequentiert wird, an einer Universität mit 35.000 Studierenden wäre dies nur logisch.
Die Studierenden der Orientalistik berichten von einer wissenschaftlichen Atmosphäre am Seminar, religiöse Perspektiven würden wenn überhaupt nur in den ersten Semestern artikuliert. Alexander Zulfoghari, Student der Orientalistik und langjähriges AStA-Mitglied, bestätigt die Ansicht des Direktors des Seminars, Prof. Dr. Stefan Reichmuth, dass fundamentalistische Studierende das Studium aufgrund seines wissenschaftlichen Anspruchs früh und enttäuscht verließen. Reichmuth weist zudem darauf hin, dass die Wissenschaftlichkeit des Studiums „tendenziell eher zur Versachlichung und Perspektivierung“ individueller Anschauungen beitrage, ferner seien die Studierenden in Bochum primär kulturell interessiert. Insgesamt sei das Kollegium am Seminar „fassungslos“ ob der vereinfachten und verzerrten Kritik, die der komplexen Situation am Lehrstuhl in keinster Weise gerecht werde.
Problematisch ist, dass im gesellschaftlichen Diskurs eine so nötige Differenzierung zwischen den verschiedenen Ausprägungen religiöser Ideologien kaum erfolgt. Die Berichterstattung in diesem konkreten Fall verdeutlicht die Erzeugung pauschaler und ungenauer Bedrohungsszenarien in der Islamismus-Debatte. In dem WAZ-Artikel findet sich ein diffuser Mix aus Osama Bin Laden, gewaltbereiten Jihadisten im Raum NRW und mutmaßlich islamistischen Studierenden an der RUB. Der wohl berechtigte Vorwurf eines gewissen Reizklimas unter den Studierenden kam in diesem Schwall aus Generalisierungen leider zu kurz.

Alles halb so wild?

Dr. Jonathan Kriener, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar, sieht in Kleidungsstil und Verhalten einiger muslimischer Studierender am Seminar ein politisches Statement. Ferner seien radikale Positionen in der Form von Zustimmung zu islamistischen Theoretikern sowie Israelfeindlichkeit zuweilen vernehmlich geworden.
Vereinzelt berichten Studierende von Spannungen, einige Studentinnen wurden demnach von ihren KommilitonInnen zu einem ostentativ frommeren Lebensstil bedrängt. In mindestens einer Lehrveranstaltung sorgten Studierende für Aufruhr, als sie sich darüber beschwerten, dass KommilitonInnen des jeweils anderen Geschlechts sich in ihrer unmittelbaren Nähe niedergelassen hatten. Dass die entsprechende Lehrkraft ad hoc eine geschlechtergetrennte Sitzordnung veranlasste, mag zwar deeskalierend gewirkt haben, ist – gelinde gesagt – allerdings eine problematische Reaktion. Hier müssen sowohl Studierende als auch Lehrpersonal sich kritisch hinterfragen.

Am Ziel vorbei

MdL Serdar Yüksel hat inzwischen zugestanden, dass die Behauptung, er habe Veranstaltungen des Seminars für Orientalistik besucht, nicht der Wahrheit entspricht – er sei falsch zitiert worden. Dies entzieht Yüksels Kritik jede Grundlage, insgesamt sind die Islamismus-Vorwürfe nicht nur überzogen, auch gehen sie am Ziel vorbei: Die von Onkelbach geweckten Assoziationen mit den Terroranschlägen des 11. Septembers sowie die undifferenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen ideologischen Strömungen des politischen Islams stellen die Studierendenschaft der Orientalistik unter einen ungerechtfertigten Generalverdacht. Die Tatsache, dass eine Minderheit der Studierenden der Orientalistik auf politisch zweifelhaften Wegen wandelt und anscheinend nicht bereit ist, bestimmte zwischenmenschliche Standards zu akzeptieren, erfordert jedoch Aufmerksamkeit und unmissverständliche Reaktionen der KommilitonInnen und des Lehrpersonals.