„Nur wenn ein Geist irritiert ist, kann er sich neu strukturieren.“ Das soll Bärbel Rotzky, Frontfrau der Punkband Eisenpimmel, die musikalisch irgendwas zwischen Volksmusik und Schlager macht, einst im Vollrausch gelallt haben. Worte, die bezeichnend sind für die zweite Late-Night-Runde „The Blog House“ am Theater Dortmund – für einen Abend, der mit dem politischen Reizthema „Freiheit und Verbote“ überschrieben war. Nach rund zwei ungewöhnlichen Stunden mit Bloggern und Buchautoren haben irritierte bis neu strukturierte Gäste das Institut in die Dortmunder Nacht verlassen.

Am Schauspielhaus Dortmund klammert man nicht an Konventionen, da wagt man Experimente. Dafür wäre Intendant Kay Voges in diesem Jahr fast mit dem deutschen Theaterpreis „Faust“ ausgezeichnet worden. Zu Presseterminen trägt Voges Ramones-Shirt, die Bildzeitung nennt ihn „Theater-Punk“ – eher eine Marketing-Strategie. Erstaunlich also, dass man an seinem Haus nun tatsächlich Kassierer und Lokalmatadore hört. Ausgerechnet während der kleinen Pausen, in denen das Blog-House-Publikum zwischen Fäkalsprache-getränkten Punk-Anekdoten, scharfer Präventivstaat-Kritik und bissig-entlarvenden Gesellschaftsskizzen ein wenig Luft bräuchte. Da ertönen mit schrabbeligen Riffs Gassenhauer des deutschsprachigen Proll-Punks: „König Alkohol“ und „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“. Nun gut, die Gäste hätten wissen können, worauf sie sich einlassen – auch die, die nach der Raucherpause spurlos verschwanden.

Freiheit vs. Sicherheit

„The Blog House“ ist eine 2013 gestartete gemeinsame Veranstaltung von Schauspielhaus und dem Internetblog „Ruhrbarone“. Ruhrbaron Stefan Laurin lädt Blogger aus Revier und World Wide Web ein, ihre Texte in Dortmund zu lesen. Reglementierung, Kontrolle und Bevormundung vonseiten des Staates standen im Zentrum der zweiten Auflage am Samstag.

Dabei wurde es nicht ganz so tiefschürfend politisch, wie beim aus dem Norden angereisten Gast Andrej Reisin zu erwarten war. Der NDR-Journalist und Mitbegründer des von der Amadeu Antonio Stiftung betriebenen preisgekrönten Internet-Blogs Publikative.org hatte sein zusammen mit Kollege Patrick Gensing herausgegebenes Buch „Der Präventivstaat“ im Gepäck. Das Autorenduo geht der Frage auf den Grund, wie Kontroll- und Verbotswahn Freiheit und Demokratie gefährden. Reisins These: Die teils absurden staatlich auferlegten Einschränkungen würden uns „unbemerkt unterwandern“.

Kabarett trifft Buchautoren (v.l.): Martin Kaysh, Andrej Reisin, Philip Stratmann, Dennis Rebman, Stefan Laurin.	Foto: dh

Kabarett trifft Buchautoren (v.l.): Martin Kaysh, Andrej Reisin, Philip Stratmann, Dennis Rebman, Stefan Laurin.  Foto: dh

Weniger Tote – mehr Überwachung

So beim Thema Sicherheitspolitik, die sinnvoller statistischer Grundlagen entbehre: In den vergangenen 20 Jahren sei in Deutschland z. B. die Zahl der Opfer von Mord und Totschlag um 74 Prozent, die von Verkehrstoten (bei mehr Fahrzeugen) um 64 Prozent zurückgegangen. Dennoch suggeriere uns der Staat mehr denn je Gefahren, denen nur durch Verschärfung von Regeln und Gesetzen, durch Kameraüberwachung oder Vorratsdatenspreicherung Herr zu werden sei. Sinn und Unsinn eines Verbots von Sex mit Tieren; die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen bei Facebook-Partys in Hinblick auf ihre Kostenfrage; und die Herabsetzung der Promille-Grenze für Radfahrer: Drei Themen hatte der Panorama-Mitarbeiter exemplarisch aus seinem Absurditäten-Kabinett der staatlichen Reglementierungen herausgegriffen.

Interviews mit drei gewollt absurden Punkbands lasen die Jungautoren Dennis Rebmann und Philip Stratmann – „authentisch unprofessionell“ warnten sie das Publikum vorab. Interviews, nicht mit politischen, eher mit prolligen Vertretern des Genres, die die Bochumer in verteilten Rollen rezitierten. Ihr erstes Buch „Mit Schmackes! Punk im Ruhrgebiet“ handelt aber nicht nur von Kassierern, Lokalmatadoren, Eisenpimmel und Alkoholkonsum – der Eindruck konnte am Samstag leicht entstehen. Rebmann und Stratmann möchten ein kleines Stück Geschichte des Musikstils Punkrock skizzieren.

Kaysh, der wahre Pöbel-Punker

„Ihr seid also sowas wie Historiker“, brachte sich bodo-Kolumnist und Kabarettist Martin Kaysh als dritter Gast in die Runde ein. „Wisst Ihr, wer der schlimmste Feind des Historikers ist? – Der Zeitzeuge!“ „Runtergekommen“ sei der Punk von heute. Früher war der Glossenschreiber bei Hass-Konzerten. Nachdem Coverbands für die CDU Tote Hosen spielen, sei Punk „irgendwie so nichts“. (Dramaturg Alexander Kerlin suchte derweil schon mal den nächsten Kassierer-Song bei Spotify raus…) Zum Thema des Abends habe er eigentlich nicht viel beizutragen, gesteht Kaysh. Zuerst las er eine Glosse über türkischstämmige Akademikerinnen: „Die packen es einfach nicht“ mit der Integration.

Nach dem Versuch mit Handstaubsauger (Smoke-O-Mat) das Rauchverbot zu umgehen, konstatierte der Kabarettist: Bevormundung gibt‘s auch von links. So las er zum feierlichen Abschluss seine Adventsglosse aus der aktuellen bodo. „Mittwinternacht“ sei ein schöner neuer Name für Weihnachten, schreit da ein Linken-Funktionär. „Und eigentlich stamme die Botschaft, die von der heiligen Armut, eh aus dem kommunistischen Manifest.“