Bild: Übergriffigkeit sat

Gespräch. Um beispielsweise mit Formen von Übergriffen umzugehen und Betroffenen Unterstützung zu leisten, gründeten Frauen* an der RUB das Autonome Frauen*Lesbenreferat.

Es ist eine Anlaufstelle für Student*innen und liefert Beratung, zum Beispiel wenn unangebrachtes Verhalten im Unikontext stattfindet. „Ich kenne keine Frau, die noch kein übergriffiges Verhalten mitbekommen hat“ erklärt Sonja Marzock, Referentin vom Referat. „Manchmal muss man sich das eventuell bewusst machen.“ Außerdem empfiehlt sie jeder Person, Dinge „im besten Fall nicht so stehen zu lassen, wenn man das bei anderen mitbekommt, oder Freunde dabei ertappt.“ Diese Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Stalking. Dieses kann in sexualisierter Form auftreten, muss es aber nicht, wie auch im Fall von Katja. Weitere Formen von übergriffigem Verhalten sind unter anderem Belästigung, Begrabschen, Missbrauch und Vergewaltigung. Von Stalking sowie anderem übergriffigem Verhalten sind zu überwiegenden Teilen Frauen betroffen. Auch der Umgang der Betroffenen mit den Situationen ähnelt sich stark. So fühlen sich diese häufig selbst schuldig, hinterfragen ihr eigenes Verhalten und zweifeln an sich selbst. Eine Betroffene schildert ihre Erfahrungen.

Ich war einmal Couchsurfen. Bei einem Typ, der angab, Anfang 20 zu sein. Ich habe ihn angeschrieben und als wir uns dann getroffen haben, war er doch schon Mitte dreißig. Dann hat er sich aber ganz plausibel und nett entschuldigt. Da dachte ich okay, alles gut. Es war auch erst alles in Ordnung. Dann ist er aufdringlicher geworden und ich hab‘ nicht „Nein“ gesagt. Weil es einfach diese Konstellation war: Das ist jetzt meine Bleibe für die Nacht. Keine Ahnung wo ich sonst pennen sollte. Also, mein Gott, lassen wir es einfach mal so passieren. Also, wir hatten Sex. Mir ging es richtig scheiße hinterher. Ich hab zum ersten Mal verstanden, warum in Filmen sich Leute hinterher sauber machen unter der Dusche. Man fühlt sich einfach so dreckig. Und dann hab‘ ich gedacht, fuck ich kann jetzt nicht einfach sagen: „Du, ich wollte eigentlich nicht“. Eigentlich ist das bescheuert! Ich habe eine Geschichte erfunden, von wegen ich wäre einmal als Kind missbraucht worden und das hätte jetzt die Erlebnisse wieder hochgebracht und können wir bitte nicht noch einmal. Er war dann verständnisvoll und ist nachts ausgegangen. Ich saß erst einmal da und bin irgendwann eingepennt. Ich bin dann am nächsten Morgen aufgewacht, mit seinen Händen auf meinen Brüsten und in meinem Schritt. Ich habe dann eigentlich nichts gemacht. Ich lag einfach erstmal nur da und habe nicht reagiert. Es war keine bewusste Entscheidung. Ich habe es ganz lange verdrängt – erfolgreich.

Ich weiß nicht, ob es mein Verhalten verändert hat. Womit ich ganz lange ein Problem hatte, war so eine Selbstbildkrise. Ob ich einfach wirke wie jemand, der mit den Leuten nach Hause geht und Sex hat. Das hat mich bestimmt ein, zwei Jahre lang beschäftigt. Vor allem weil ich weiß, dass das Schwachsinn ist.

Ich fand es sehr schwer, es Leuten zu erzählen, die ich gut kannte. Weil die Angst bestand, dass sie mich immer angucken mit dem „Aha, ihr ist das passiert“-Blick. Ich habe es meinem engen Freundeskreis im Urlaub erzählt. Dort war eine Stimmung, in der jeder sein Erlebnis erzählt hat. Ich habe mich wohl gefühlt, das zu sagen, weil ich dachte: „Okay, dann bin ich nicht die Einzige, die so ein Erlebnis gemacht hat und bin nicht die Gebrandmarkte.“ Das hat mir wirklich geholfen und hat erst angestoßen, dass ich mich damit intensiver beschäftigt habe. Auch mal etwas genauer das Erlebnis durchgegangen bin. Die letzten zwei Schritte waren, dass ich es einem sehr engen Kumpel erzählt habe, weil es nochmal was anderes ist, es einem befreundeten Mann zu erzählen. Dann habe ich es meiner allerbesten Freundin erzählt und das war das Ende. Da dachte ich wenn, ich es ihr erzählen kann, habe ich es einigermaßen gut verarbeitet. Ich glaube, ich konnte nicht „Nein“ sagen, weil ich nicht wirklich das Gefühl hatte, oder nicht wirklich die Überzeugung hatte, dass mein Körper wirklich mir gehört. Ich stehe dazu mittlerweile sehr anders, aber zu dem Zeitpunkt dachte ich, es wäre unfair der anderen Person gegenüber nein zu sagen. Als ob sie ein gewisses Anrecht auf meinen Körper hätte. Was totaler Bullshit ist. Aus genau diesem Gedankengang kam das Schuldgefühl. Dass ich enttäuscht von mir selber bin. Dass ich nicht hundert Prozent dachte, dass ich über meinen Körper bestimmen kann … aber es ist mein Körper! Ich sollte entscheiden, was mit ihm passiert und nicht passiert. Hinterher, als ich angefangen hab, wieder darüber nachzudenken und dieses unangenehme Gefühl – diese Schuldgefühle – bekommen habe, kam das daher, wie enttäuscht ich darüber war, wie ängstlich und schwach ich in der Situation war. Ich glaube, ich gebe mir nicht mehr die Schuld dafür. Ich erkenne jetzt auch an, dass es dieses Abhängigkeitsverhältnis gab. Darum sind die Schuldgefühle mittlerweile nicht mehr wirklich da. Aber ich weiß, dass ich immer noch ein bisschen Angst habe, dass mir sowas nochmal passieren könnte. Weil ich mir einfach nicht hundert prozentig vertrauen kann, dass ich in einer ähnlichen Situation nein sagen werde. Das ist vielleicht auch noch so eine Sache, die mich in Datingsituationen beeinflusst. Dass mich das, auch wenn ich eigentlich Bock hätte, etwas Lockeres mit jemandem anzufangen, zurückhält. Weil ich mir denke, was ist, wenn es jetzt ein bisschen unangenehm ist? Sag ich dann noch nein? Oder schaff ich das nicht? Wird es dann nochmal genauso? Und dann blocke ich das eher generell ab. Ich glaube, dass es über die Zeit schon besser wird. Aber es braucht sehr, sehr lang. Es hat lange gebraucht, bis ich selber die Situation verarbeitet habe. Und ich glaube, es dauert noch sehr viel länger, bis ich die Auswirkungen auf mich endgültig verarbeitet habe oder sie akzeptieren kann.

Dieses Bild von der emanzipierten, offenen, selbstbestimmten Frau war einer der Gründe, weshalb ich diese Erfahrung lange nicht als das anerkannt habe, was sie war. Weil ich in diesem Bild bleiben wollte – ja, das war einfach nur Sex und das war voll okay so. Wenn ich jetzt sage, es lag auch an ihm und er hat meine Grenzen einfach überschritten oder gar nicht gefragt, ob ich welche habe. oder er sie überschritt obwohl ich ihm gesagt hab, dass ich welche habe, dann bin ich nicht mehr eine emanzipierte Frau, der sowas nicht passiert und die immer nur Sex hat, wenn sie Bock drauf hat. Sondern dann ist da so ein Bruch in diesem Selbstbild. Es verändert nun mal einfach, wie man sich selbst sieht, wie man andere sieht, Beziehungen sieht.

Was mich häufig stört, ist, dass ich das machen will, was andere Menschen von mir erwarten. Ich finde es interessant, dass es nur dieser Bereich ist. Also wenn meine beste Freundin mir sagt, du solltest auch in anderen Situationen mehr sagen, was dir wichtig ist, sag ich immer: „Ach, pfft.“ Aber nur in dieser Hinsicht stört es mich wirklich. Weil es auch ein Thema in der Öffentlichkeit ist. Die Selbstbestimmung der Frau. Es hilft auf jeden Fall, darüber mit anderen Frauen zu reden und rückgespiegelt zu bekommen: „Gott, ich verstehe, dass es dir damit scheiße geht. Dir sollte es damit scheiße gehen! Das sollte nicht so passieren, wie es passiert ist.“ Es ist wirklich dieses Gefühl, dass man sich berechtigt fühlt in dem, was man gefühlt hat und was man fühlt. Und wie man die Situation selbst bewertet. Das geht auch eher nur von anderen Frauen. Dass man weiß: Es ist okay, es schlimm zu finden. Ich brauche das rückgespiegelt von anderen.“

:Das Gespräch führte Stefan Moll

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